1261 - Blut aus dem Jenseits
und es war mir auch klar geworden, dass zwischen dem Monster und dem seltsamen Nackten eine Todfeindschaft bestand. Auch er war jemand, der in die normale Welt nicht hineinpasste und sich möglicherweise von einer anderen Dimension her auf der Flucht befand. Gejagt von dieser Schreckensgestalt, die hoffentlich einmalig war, woran ich aber nicht so recht glaubte.
Das Maul war »sauber«. Zumindest wurde es nicht von einem feuchten Film aus Blut umgeben. Die Knurrlaute hatten sich etwas abgeschwächt. Mehr röchelnd drangen sie jetzt tief aus der Kehle.
Es bewegte sich ohne Vorwarnung. Mit einer gekonnten Drehung rollte es auf die Seite. Es nutzte dabei den Schwung aus und schwang sich in die Höhe. Dabei hatte es sich so gedreht, dass es auf das noch immer offen stehende Fenster fixiert war.
Ich war schneller.
Nach dem zweiten Flügelschlag hob es vom Boden ab. Die breiten Schwingen sahen aus wie die Teile eines Lederzelts und noch vor dem Fenster prallten wir zusammen.
Ich merkte, dass dieses Monstrum nicht so leicht war, wie es eigentlich aussah. Ich geriet ins Taumeln, aber ich war trotzdem der Sieger, denn die Waffe, auf die ich mich verließ, war für dieses schlimme Wesen tödlich.
Die Mutation prallte nicht nur gegen mich, sondern auch gegen das freiliegende Kreuz. Ich hörte plötzlich einen schrillen Todesschrei. Das Geräusch einer über Eisen ratschenden Säge hätte sich nicht schlimmer anhören können.
Die Gestalt tuckte von mir weg wie ein Ball. Sie bewegte noch die Schwingen, aber es befand sich keine Kraft mehr darin. Sie waren zu schwach geworden, um den Körper zu tragen. Er flatterte von mir zurück und dabei durch mein Zimmer, aber ich sah auch die Löcher innerhalb der Schwingen.
Plötzlich fingen sie Feuer!
Und wieder waren es keine normalen Flammen. Die kleinen Feuerzungen schossen in die Höhe. Sie schimmerten in einer grünlichen Farbe, in die sich ein roter Kern hineinmischte. Es breiteten sich weder Hitze noch Qualm im Raum aus. Die Schwingen fielen zuerst ab. Da regneten die Reste langsam als Ascheteile zu Boden, während die Flammen aus dem Maul der Kreatur schossen und es ausfüllten.
Die hässliche Fratze zerlief, als bestünde sie aus Sirup. Selbst im letzten Todeskampf war sie widerlich verzogen und in den folgenden Sekunden sackte auch der Körper in eine Aschesäule vor mir und dem anderen Zeugen zusammen.
Es war vorbei. Das Monstrum bestand nur noch in meiner Erinnerung. Es würde nie mehr Schaden anrichten und die schmutzigen Reste konnte ich aufsaugen.
In den folgenden Sekunden tat ich nichts. Zunächst mal musste ich mich von der Aktion erholen.
Dieses Wesen war so plötzlich aufgetaucht. Ich wusste nicht, woher es gekommen war, aber es gab jemand, der mir vielleicht helfen konnte.
Langsam drehte ich mich zu ihm um.
Diesmal lebte die Gestalt. Es war nicht so wie in der Kirche, als man sie aufgespießt hatte. Ich bekam Zeit, sie mir genau anzuschauen und hatte das Gefühl, darin einen Zwillingsbruder des Toten zu sehen. Die gleiche Haut, die gleichen Haare, die ungewöhnliche Geschlechtslosigkeit. Mehr mit einer Statue zu vergleichen als mit einem Menschen.
Ich schickte der Gestalt ein Lächeln, das sie unsicher machte und sie einen Schritt zurückweichen ließ.
»Kannst du mich hören?« fragte ich leise.
Eine Antwort bekam ich leider nicht. Aber ich ließ das Gesicht nicht aus der Kontrolle und stellte fest, dass sich in den Augen etwas bewegte. Sie waren so blass, dass sie kaum auffielen, aber nach meiner Frage leuchteten sie schon auf.
»Kannst du sprechen? Verstehst du die menschliche Sprache? Oder bin ich dir zu fremd?«
Diesmal reagierte er. Er öffnete den Mund, und aus der Kehle drang mir ein hohes Geräusch entgegen, das sich anhörte, als würde es sich aus zahlreichen kleinen Schreien zusammensetzen. Das war natürlich keine Antwort, aber ich verlor meinen Optimismus nicht. Schließlich hatte ich eine Reaktion erlebt.
Er war kein Mensch. Er war ein Wesen. Aber er musste etwas mit einem Menschen gemeinsam haben, sonst hätte man ihm nicht die Gestalt gegeben. Er hatte mich auch gehört, nur stellte ich mir die Frage, ob er mich auch verstanden hatte. So stand ich vor dem Problem, diese harte Nuss knacken zu müssen.
Ich schaute ihn mir noch mal an. Ich suchte nach einer gemeinsamen Basis, auf der wir uns treffen konnten. Meine Sprache war dem Wesen fremd, auch wenn es aussah wie ein Mensch.
Lächeln ist oft eine Brücke. Ich versuchte es auch
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