1262 - Die Sauger
war, falls es sich überhaupt um eine Haut handelte.
»Bitte - warum?«
»Ich kann es dir nicht sagen.«
»Gut, dann muss ich es hinnehmen. Und was wirst du jetzt tun?«
»Ich werde dich verlassen.«
»Wo gehst du hin?«
»Irgendwohin.«
»Und das Kreuz in deiner Hand? Was ist mit ihm? Woher stammt es?«
»Ich kann es dir nicht sagen.«
»Aber du hast es doch.«
»Schon, doch ich bin nicht sein Besitzer. Es gehört einem anderen Menschen. Du kennst ihn. Es ist der blonde Mann, der mit dem Chinesen gekommen ist.«
Tina Steene deutete ein Nicken an. »Ja, ich habe ihn gesehen, aber seinen Namen kenne ich nicht.«
»Er heißt John Sinclair. Er ist Polizist, aber man nennt ihn auch den Geisterjäger. Wenn es einen Menschen gibt, dem du vertrauen kannst, dann ihm.«
»Nicht dir?«
Der Retter lächelte noch stärker. »Ich werde meinen eigenen Weg gehen und ihn auch wieder zurückfinden.«
»Wohin?«
»Zu mir. In meine Welt.«
In Tinas Augen war wieder der Glanz zurückgekehrt. Ein Lächeln umhuschte ihre Lippen. »Du bist etwas ganz Besonders, nicht wahr, mein Freund?«
»Ja, für euch Menschen schon. Aber ich sehe mich nicht so. Gib auf dich Acht«, warnte er noch einmal, »denn ich kann nicht überall sein.« Dann drehte er sich dem Fenster zu, stemmte sich einmal auf und kletterte nicht hinaus, wie es normal gewesen wäre.
Tina bekam große Augen, denn sie sah, wie er wegschwebte.
Wie ein heller Schatten war er gekommen; und wie ein heller Schatten verschwand er wieder, denn er verursachte kein Geräusch.
Zurück ließ er eine Frau, die das Gefühl hatte, nicht mehr mit der normalen Welt und deren Gesetzen zurechtzukommen.
Sie saß noch immer an der gleichen Stelle. Ihr Blick fiel auf die Krankenbetten und trotzdem ins Leere. Erst jetzt hörte sie das Wimmern der alten Leute und das leise Stöhnen. Sie versuchten auch Fragen zu stellen, aber sie waren einfach zu schwach.
Von der Lehrerin vernahm Tina keinen Laut mehr. Als sie auf ihr Bett schaute, da sah sie den Körper so schräg liegen, dass die Beine über die Kante hingen. Auf dem Laken hatten sich einige dunkle und recht große Flecken ausgebreitet, und sie wusste auch, was es war. Das Blut der alten und jetzt toten Frau.
Plötzlich musste sie wieder weinen. Ihr Körper zuckte unter dem heftigen Schluchzen, und Tina hörte nicht mal, wie die Tür geöffnet wurde.
Die Nachtschwester eilte in das Zimmer, gefolgt von einer jüngeren Kollegin. Einen Arzt hatten sie nicht mitgenommen, denn der hatte bei anderen Patienten zu tun.
Tina hörte wohl, wie die jüngere Schwester einen Schrei ausstieß, doch das kümmerte sie nicht. Sie weinte weiter, und irgendwann wurde sie von zwei Händen durchgeschüttelt.
Als sie den Kopf hob, schaute sie in das Gesicht der Nachtschwester, die vor ihr kniete.
»Bitte, Miss Steene, bitte, sagen Sie mir doch, was hier geschehen ist.« Die Frau hatte Mühe, ihre Stimme unter Kontrolle zuhalten. »Was war hier los?«
»Die Hölle«, gab Tina flüsternd zurück. »Die Hölle war los…«
***
Man kann in den frühen Morgenstunden gut durch London fahren, das hatte ich erleben dürfen. Der Rover war zu einem Flitzer geworden. Ich hatte wirklich so gut wie freie Bahn gehabt und hatte es auch geschafft, mein Ziel in Rekordzeit zu erreichen.
Das Krankenhaus war nicht das Modernste. Überhaupt sah es in diesen Bauten aus wie kurz nach dem Krieg. Das hatte ich mir mal sagen lassen von einem, der es wusste. Zimmer, die überbelegt waren, und in manchen Zeitungen war schon die Frage gestellt worden, ob die Grundversorgung überhaupt gesichert war.
Ich konnte keine Antwort darauf finden, aber ich wusste, dass es auch andere Kliniken gab. Nur befanden sich die in privater Hand. Wer sich dort behandeln ließ, der musste schon über das nötige Kleingeld verfügen.
Einen Vorteil gab es. Ich fand einen Parkplatz und konnte sogar ziemlich dicht an den alten Bau heranfahren.
Ich sprang aus dem Rover, schloss ihn per Fernbedienung ab und eilte die Treppe hoch.
Der Eingang war nicht verschlossen. Die schwere Tür mit dem Glaseinsatz öffnete sich auch nicht automatisch, ich musste sie schon aufdrücken und stand im geräumigen Empfangsbereich des Krankenhauses.
Hier war irgendwie alles düster. Von den Wänden, dem Boden bis hin zum Licht, das auch nicht viel brachte. Es breitete sich hier unten der Charme der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts aus, was auch an den Stühlen und den Tischen in der Warteecke zu
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