1262 - Die Sauger
erkennen war. Da herrschte die Farbe Braun vor.
So etwas wie einen Portier gab es auch. Er saß in seiner Loge, hatte die Beine nach vorn gestreckt und gähnte ausgiebig. Er ließ sich auch durch mich nicht stören. Erst als er sich ausgegähnt, gereckt und den Kopf geschüttelt hatte, war er so gütig, sich um mich zu kümmern. Er drehte den Kopf mit dem schütteren Haar und erkundigte sich tatsächlich, wie er mir helfen konnte.
»Ich möchte eine Patientin besuchen. Tina Steene.«
»Hä. Mitten in der Nacht?«
»Ja.«
»Das ist nicht möglich. Es sei denn, es liegt ein besonderer Grund vor.«
Ich holte meinen Ausweis hervor und hielt ihn so, dass er ihn lesen konnte. »Reicht das als Grund?«
»Verdammt, Scotland Yard.«
»Genau. Und jetzt möchte ich gern von Ihnen wissen, wo ich Tina Steene finden kann.«
Er musste erst mal nachschauen und tat dies sehr langsam, während ich auf heißen Kohlen stand.
»Ja, dann fahren oder gehen Sie mal in die dritte Etage.«
»Danke.«
Ich fuhr mit dem Lift. In der dritten Etage schaute ich mich kurz um und entdeckte schon bald die breite Tür, die zu der Station führte. Ich hatte nicht nach der Zimmernummer gefragt. Sie herauszufinden, war jedoch kein Problem, es gibt auch in der Nacht Schwestern, die im Dienst sind.
Erst als ich das Milchglas der Tür hinter mir gelassen hatte, fiel mein Blick in den recht langen Gang hinein. Ich spürte sofort die Unruhe, die hier herrschte, und mein Gefühl, dass etwas nicht stimmte, verdichtete sich. Ein paar Meter vor mir verließ ein Mann im hellen Kittel sein Zimmer und eilte mit langen Schritten in den hinteren Teil des Flurs. Er verschwand dort in einem Zimmer an der linken Seite. Zu fragen brauchte ich keinen mehr. Für mich stand fest, wohin mich mein Weg führen würde.
Eine jüngere Schwester flitzte aus einem der Zimmer und stellte sich mir in den Weg.
»Wo wollen Sie hin?«
»Zu Tina Steene.«
»Das geht jetzt nicht.«
»Doch es geht.« Ich zeigte ihr meinen Ausweis. Als sie las, weiteten sich ihre blauen Augen.
Erstaunt flüsterte sie: »Die Polizei ist schon da? Wir haben sie noch nicht gerufen. Das wollte Doktor Tendike erledigen.«
»Warum sollte die Polizei kommen? Geht es um Tina Steene?«
»Ja,«
»Ist sie tot?«
»Nein, sie lebt noch. Aber eine andere Patientin wurde umgebracht.« Die Schwester fasste nach ihrem Hals. »Es war furchtbar, kann ich Ihnen sagen, Mr. Sinclair.«
Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich hatte es jetzt nicht mehr so eilig und wollte wissen, was in dem Krankenzimmer passiert war.
Die Schwester schüttelte den Kopf. »Genaues kann ich Ihnen nicht sagen. Aber es läuft auf einen Mord hinaus. Man hat Mrs. Pommeroy grausam umgebracht. Das ganze Bett ist voller Blut, und sie hat so gut wie keinen Hals mehr.«
Ich hörte in meinem Kopf die Glocken läuten. Ein zerfetzter Hals deutete darauf hin, dass ein Untier gewütet hatte. Ich brauchte mir nur diesen fliegenden Blutsauger vorzustellen und an seine Klauen zu denken, da konnte ich mir schon das Richtige zusammenreimen.
»Hat man eine Spur von dem Mörder?«
»Ja!«, sagte sie erstickt. »Und?«
»Er ist noch im Zimmer.«
»Was?«
»Aber er ist tot. Er sieht nicht mehr aus wie ein Mensch. Nur noch ein… ein Haufen.«
»Danke, Schwester, ich werde ihn mir genauer anschauen.«
Sie wollte noch etwas sagen, aber ich drückte mich an ihr vorbei und ging tiefer in den Gang hinein.
Ich hatte mir gemerkt, wo der Arzt verschwunden war, und ich fand auch auf Anhieb die richtige Tür.
Vorsichtig zog ich sie auf. Zuerst sah ich die beiden Kittelträger. Ein Mann und eine Frau. Sie wandten mir ihre Rücken zu und sprachen leise miteinander.
Ich entdeckte auch eine zerbrochene Fensterscheibe, deren Reste sich auf dem Boden verteilten, und im Zimmer herrschte plötzlich Durchzug, der dem Arzt auffiel.
Er drehte sich um.
In diesem Augenblick schloss ich die Tür.
Der Mann im weißen Kittel zuckte zusammen. Bevor ich ein Wort herausbrachte, streckte er mir den Arm entgegen und donnerte: »Raus!«
»Das werde ich nicht tun.«
Der Arzt schnappte nach Luft.
Ich nutzte die Chance und fragte: »Sind Sie Dr. Tendike?«
»In der Tat.«
»Mein Name ist John Sinclair. Scotland Yard, und ich denke, dass ich hier genau richtig bin.«
Der Arzt gab mir keine Antwort. Er schaute mich nur an, und irgendwie entspannte er sich dabei. Er nickte mir zu, dann hob er die Schultern und meinte: »Unsere Patientin hat Ihren Namen bereits erwähnt.
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