1262 - Die Sauger
und hob sie an. Der Arzt berichtete mir noch, dass er Tina ein Beruhigungsmittel verabreicht hatte. »Das musste ich tun«, fügte er noch hinzu. »Sie stand völlig neben sich.«
»Kein Wunder.«
Wir waren beide aufgestanden und gingen zur Tür. Tina hielt den Kopf gesenkt. Sie wollte nicht sprechen, denn sie hatte die Lippen fest zusammengedrückt.
Dr. Tendike begleitete uns nach draußen auf den Gang. Die Nachtschwester blieb zurück, und wir wurden in eine Nische hineingeführt, die ich bisher noch nicht gesehen hatte. An der Rückseite schloss sie mit einer Tür, die der Arzt öffnete.
»Hier werden Sie beide die nötige Ruhe haben. Können Sie einen Kaffee vertragen?«
»Das wäre optimal.«
»Er wird Ihnen gleich gebracht. Und für unsere Patientin lasse ich ein Glas Wasser mitbringen.«
»Danke.« Behutsam führte ich meinen Schützling in den Raum und war gespannt, was Tina mir zu sagen hatte. Allerdings musste ich auf mein Kreuz auch weiterhin verzichten…
***
Man sah Tina Steene an, was sie durchlitten hatte. Und irgendwie bewunderte ich sie, dass sie sich trotz allem noch in der Gewalt hatte und nicht durchdrehte. Das konnte auch am Beruhigungsmittel liegen, das ihr verabreicht worden war. Sie hatte sich auf einen Stuhl gesetzt und wirkte scheu und wie verwundet. Dort, wo die Krallen des Monsters sie zum ersten Mal erwischt hatten, bedeckten Pflaster die Wunden. Eine Strickjacke oder einen Mantel benötigte sie nicht. Es war in diesem kleinen Raum warm genug.
Kaffee und Wasser waren uns gebracht worden. Mir hatte das heiße Getränk gut getan. Tina hatte noch nichts getrunken. Sie schaute nur vor sich hin.
»Wollen Sie nichts trinken, Tina?« Sie schüttelte den Kopf.
»Gut.« Ich setzte die Tasse nach einem Schluck wieder ab. Wie ich genau anfangen sollte, wusste ich nicht so recht und versuchte es deshalb mit einem schlichten Satz. »Sie haben Glück gehabt, Tina, zum zweiten Mal. Das Schicksal scheint auf Ihrer Seite zu stehen.«
Sie reagierte. Jedoch nicht auf meine Bemerkung. Mit leiser Stimme sagte sie: »Die alte Frau ist meinetwegen gestorben, weil sie mir hat helfen wollen. Sie hat die Bestie aufgehalten.« Tina nickte.
»Ja, das hat sie.«
Ich wusste, dass sie beim Thema bleiben wollte. Deshalb hakte ich nach. »Wie konnte sie das tun?«
»Sie raffte sich auf«, flüsterte Tina. »Sie griff dann nach ihrem Stock, der am Bett stand. Damit wollte sie das Untier aufhalten. Es war kaum zu fassen, wirklich. So bekam ich etwas Zeit.«
»Bis er kam.«
»Ja, mein Retter.« Sie holte tief Atem. »Er war plötzlich da.«
Da sie schwieg, sprach ich weiter. »War es die gleiche Person, die Sie auf der Straße gesehen haben?«
»Ich glaube es.«
»Oder wissen Sie es?«
»Sie sah so aus.« Tina schaute hoch. Jetzt konnte sie auch lächeln. »Er war so wunderbar, so wunderbar, Mr. Sinclair. Ich habe ihn nur anstaunen können. Er hat mein Leben gerettet. Ihm verdanke ich wirklich alles. Das war einfach toll. Auch jetzt kann ich es noch immer nicht fassen. Es ist, als wäre alles nur ein Traum. Aber das ist es wohl nicht.«
»An was können Sie sich noch erinnern, Tina?«
»Er hat ihn getötet. Der Mörder verbrannte. Er ging in Flammen auf und schmolz zusammen.«
»Warum passierte das?«
»Weil der andere ein Kreuz besaß. Er hat es eingesetzt. So ist die Bestie verbrannt.«
»Ein Kreuz aus Silber?«
»Ja, es schimmerte so.«
Genau das hatte ich wissen wollen. Es war also der Gleiche gewesen, der mich besucht hatte. Jamiel. Nun war er bewaffnet. Mein Kreuz hatte ihm eine Stärke verliehen, von der er früher vielleicht nur geträumt hatte. Ich dachte noch immer darüber nach, ob es ein Fehler gewesen war, ihm meinen Talisman zu überlassen. Wenn ich ehrlich war, hatte ich es freiwillig getan, weil ich ihn auch hatte testen wollen. Dann waren mir die Dinge eben aus der Hand gelaufen.
Meine Kollegen hatte ich angerufen, bevor wir den kleinen Raum betreten hatten. Sie würden sich um die Opfer kümmern, aber einen großen Schritt weiter brachte mich das auch nicht.
»Kommen wir noch mal auf Jamiel zu sprechen«, sagte ich.
»Jamiel?«
»Ja.«
»Wer ist das?«
»Ihr Retter.«
Jetzt musste sie schlucken. Meine Antwort hatte sie ziemlich aus den Konzept gebracht. »Sie… Sie… kennen tatsächlich den Namen der hellen Gestalt?«
»Ja, die ist mir bekannt.«
»Und was wissen Sie noch?«
»Leider nicht viel mehr. Ich habe gedacht, dass Sie mir etwas über ihn erzählen
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