1272 - Der Geist des Zauberers
das Geräusch nach. Auch wenn sie es sich in Erinnerung rief, sie war nicht in der Lage, herauszufinden, was sie nun gehört hatte.
Der Schritt über die Schwelle!
Er fiel ihr schwer, aber plötzlich war sie ihn gegangen, ohne noch lange darüber nachzudenken. Sie stand im Bad und schaute sich um.
Es war leer!
Ein kieksendes Lachen drang aus ihrem halb geöffneten Mund. Schnell drückte sie ihre Hand gegen die Lippen, als hätte sie jemand durch diesen Laut erschreckt.
Es war niemand da!
Naomi stand allein im Bad, und sie konnte, wenn sie sich drehte, in die Spiegel schauen, von denen es zwei gab. Einer reichte fast von der Decke bis zum Boden, der andere war an der Wand über den beiden Handwaschbecken angebracht worden. Alles sah sehr gediegen aus, da hatte man keine billigen Fliesen genommen, sondern schon teuren Marmor.
Es war niemand zu sehen. Weder ein Mensch noch ein Tier. Und dabei dachte sie an einen TV-Bericht, den sie vor einigen Tagen gesehen hatte. Da war über die Rattenplage berichtet worden, die es nicht nur in den amerikanischen Großstädten gab, sondern auch in den europäischen, denn dieser Bericht war in einer solchen aufgenommen worden. Wenn sie sich vorstellte, dass plötzlich eine Ratte auf der Toilette kroch, zog sich bei ihr die Haut zusammen. Es gab nicht viele Dinge, vor denen sie sich ekelte, aber Ratten gehörten nun mal dazu.
Wieder schnaufte sie, schüttelte sich und drehte schließlich den Kopf, um das gesamte Bad überblicken zu können.
Nein, sie war allein.
Oder doch nicht?
Das Gefühl, nicht die Einzige zu sein, war trotzdem vorhanden, aber wenn noch jemand da war, dann hielt er sich so versteckt, dass sie ihn nicht bemerken konnte.
Etwas bewegte sich!
Augenblicklich wusste Naomi, dass nicht sie es gewesen sein konnte, denn sie stand nach wie vor auf der gleichen Stelle. Aber wenn sie den Kopf nach links drehte, gelang ihr der Blick in den breiten Spiegel, und genau dort tat sich etwas.
Dunkle Schwaden glitten über die helle Flächen hinweg. Sie waren keine Einbildung, und Naomi wusste auch nicht, woher sie gekommen waren. Aber sie waren da, und sie glitten dabei wie Wogen durch die Spiegelfläche, die sich von einem grauen Meer gelöst hatten. Es gab dabei kein Geräusch, und Naomi glaubte, dass sie sich schon beim ersten Laut geirrt hatte, bis sie etwas hörte, das sie beinahe zu Tode erschreckte.
Es war das Lachen!
Kein normales. Es drang aus der Tiefe oder aus der Höhe; sie wusste es nicht genau zu sagen. Jedenfalls hatte sie es sich nicht eingebildet. Es war auch nicht mit einem normalen Lachen zu vergleichen, denn dieses Geräusch klang, als hätte jemand mit einem Stein über ein Kratzbett gerieben.
Das Lachen löste ihre Erstarrung. Es war ihr, als hätte sie einen Schuss bekommen, und eigentlich ohne es zu wollen, aber von etwas getrieben, ging sie auf den breiten Spiegel zu.
Das Lachen hatte sie schon geschockt und überrascht, doch jetzt, als es vorbei war, konnte sie sich wieder auf andere Dinge konzentrieren. Sie stellte fest, dass ihr die seltsamen düsteren Wolken keinen so großen Schreck mehr einjagten, aber ein normales Denken war auch nicht möglich, denn dieser Vorgang war eigentlich zu unheimlich und unerklärlich.
Der Spiegel hatte sein glattes Nichts verloren. Naomi blickte hinein. Sie hätte sich jetzt sehen müssen, aber ihr Spiegelbild malte sich nicht mehr dort ab. Erst als sie genauer hinschaute, erkannte sie inmitten der Wolken eine Gestalt. Schmal, verloren wirkend, weit entfernt, nicht so nah wie es hätte sein müssen, aber genau das war sie.
Naomi hörte sich stöhnen. Noch immer glaubte sie an einen wilden Traum, aber sie wusste zugleich, dass es keiner war. Sie hob langsam die Hände, um sie flach gegen ihre Wangen zu drücken.
Auch im Spiegel sah sie sehr schwach diese neue Veränderung in ihrer Haltung. An der gesamten Fläche und innerhalb des wolkigen Bildes hatte sich noch nichts verändert, bis sie Sekunden später etwas wahrnahm, das sie an ihrem Verstand zweifeln ließ.
Innerhalb der Wolken erschien ein Gesicht. Es malte sich nicht scharf ab, aber es war deutlich zu erkennen. Es lief mit seinen Umrissen in die Wolken hinein, sodass eigentlich nur die Augen klar und deutlich hervortraten.
Es waren schwarze Augen, dunkel wie Kohle und tief wie Brunnenschächte. Augen, die keinen Ausdruck besaßen und trotzdem eine Botschaft vermittelten, denn sie brachten die Angst mit, die Naomi überfiel.
Die Augen und, das
Weitere Kostenlose Bücher