1273 - Poker mit dem Tod
Scheibe des Beichtstuhls gesehen hatte. Die Spieler versuchten es eben mit allen Tricks, um den Gegner aus dem Konzept zu bringen.
Nicht bei mir!, dachte er. Dazu bin ich zu gut, viel zu gut…
Kid Longo hatte von South Kensington aus die Fulham Road genommen und war am Chelsea Stadion vorbeigefahren. In dem kleinen Straßengewirr fand er sich nicht zurecht, aber schließlich entdeckte er ein Hinweisschild auf den Friedhof, und genau das war für ihn schon mal die halbe Miete.
Schon bald sah er die Bäume, die über die hohe Friedhofsmauer hinwegragten. Das Laub hatte mit Anbruch der Dämmerung seine grüne Farbe verloren. Es sah jetzt dunkel und bedrohlich aus, als wollte es die Menschen davon abhalten, das Gelände zu betreten. Kid Longo war recht zufrieden.
Jetzt musste er nur noch die Leichenhalle finden.
In dieser Umgebung kannte er sich nicht aus. Als Spieler hatte es ihn nie in die Nähe eines Friedhofs getrieben, um dort mit Karten zu zaubern. Er mochte die andere Umgebung. Die einsamen Hinterzimmer, die runden Tische mit dem weichen Filz, auf den das Licht einer Deckenleuchte fiel, um die Karten und auch die gierigen Hände der Spieler anzustrahlen.
Kid Longo hatte Glück, auf einen Mann zu treffen, der soeben in seinen kleinen Transporter einsteigen wollte. Der Wagen parkte praktisch in Griffweite der Friedhofsmauer. Die Ladefläche war mit Ästen und Zweigen bestückt. Vermutlich sollte das Zeug vom Friedhof weg auf eine Biokippe gebracht werden.
Bevor der Mann in seinem Fahrerhaus verschwinden konnte, hielt Kid Longo an. Der Zocker schaute durch die nach unten gefahrene Scheibe und setzte sein bestes Lächeln auf.
»Auf ein Wort, Mister.«
Der schwergewichtige Mann, der über seinem karierten T-Shirt einen Overall trug, drehte sich schwerfällig um. Auf seinem Gesicht zeichneten sich noch die Anstrengungen der Arbeit ab.
»Was ist?«, erkundigte er sich etwas unwillig.
»Nur eine Frage.« Der Zocker blieb weiterhin freundlich.
»Aber nicht mehr.«
»Keine Sorge. Ich möchte nur den Weg zur alten Leichenhalle finden, das ist alles.«
Der Mann schaute ihn ungläubig an.
»Was wollen Sie denn da?«
Longo lachte. »Ich muss da eine neue Freundin treffen. Sie will mit mir spazieren gehen. Hat wohl ein Faible für Friedhöfe. Ansonsten ist sie ziemlich cool.« Er freute sich, dass ihm diese Ausrede rechtzeitig eingefallen war.
»Da brauchen Sie nicht weit zu fahren. Nur noch ein paar Meter. Bleiben Sie auf der Straße. Da kommen Sie dann zu einem Eingang, und genau dort finden Sie auch die alte Leichenhalle. Sie liegt aber ziemlich versteckt, weil sie nicht mehr benutzt wird. Da hat die Natur einen richtigen Dschungel bilden können.«
»Ich will auch nicht rein, sondern nur in die Nähe.«
»An dieser alten Haltestelle?«
»Ja.«
»Die sehen Sie ja.«
»Danke.«
Der Overallträger stieg in seinen Wagen, und Longo atmete auf, weil es so gut geklappt hatte. Der Rest würde ein Kinderspiel sein, und was dann folgte, da wollte er sich überraschen lassen.
Auf jeden Fall ein Spielchen. Aber ein Spiel zu zweit, und das ging an die Nieren. Da würde es sich zeigen, wer am besten bluffte, denn der Einsatz war verflucht hoch. Er konnte alles gewinnen, aber auch alles verlieren.
Sein neues Ziel war jetzt die alte Haltestelle, an der kein Bus mehr stoppte. Dort stellte er seinen Wagen ab. Nach dem Aussteigen schaute er sich um.
Viel war auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Vor allen Dingen nichts, was ihm weitergeholfen hätte. Er sah viel Grün, das selbst die Friedhofsmauer überwuchert hatte. Der Fahrer hatte von einem Dschungel gesprochen und schien nicht übertrieben zu haben, denn was da über die Mauer kroch, bestand aus biegsamen Zweigen und tiefgrünen Blättern. Das war der Efeu, der an der anderen Mauerseite hochwuchs und seinen Weg über die Krone gefunden hatte.
Die Leichenhalle sah er nicht. Er ging einige Schritte weiter und suchte nach einem Eingang. Auch davon hatte der Mann gesprochen, und das angerostete Tor hätte er beinahe übersehen, weil auch es zwischen all dem Pflanzenzeug verschwunden war.
Er schaute sich nach einem Verfolger um. Da war nichts zu sehen. Das Ziel lag zudem in einer schmalen Seitenstraße, in der sowieso kaum Verkehr herrschte.
Die Helligkeit des Tages war verschwunden. Am Himmel zeigten sich die ersten langen Schatten, ohne allerdings das Blau schon ganz zu verdecken. Er sah auch den Mond, der wie eine Sichel aus Eis am Himmel stand.
In seinem
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