1281 - Der dreifache Tod
fehlentwickelten.
Niemand kam.
Aus dem Nebenraum hörte er auch nichts. Die Stille umgab ihn wie ein großes Tuch, und sie hätte ihn eigentlich beruhigen müssen. Genau das war jedoch nicht der Fall. Die Ruhe machte ihn nervös.
Sie zerrte an seinen Nerven, und er verhielt sich so, dass er fast über sich selbst gelacht hätte. Er schaute sich um wie ein Fremder, der nach irgendetwas sucht.
Aber da war nichts!
Wirklich nichts?
Tiger konnte es nicht glauben. So etwas wie an diesem Tag hatte er in seinen eigenen vier Wänden noch nie erlebt. Er fühlte sich fremd und wie gefangen. Noch immer drang Schweiß aus seinen Poren. Als er über seine Lippen leckte, schmeckte er das Salz.
Ich bin allein!, durchfuhr es ihn. Ich bin allein. Niemand beobachtet mich. Die drei dämonischen Meister stehen auf meiner Seite und auf keiner anderen. Es geht alles gut. Ich mache mir selbst etwas vor. Und von Jacob droht auch keine Gefahr.
Nur komisch, dass er seinen eigenen Gedanken misstraute. Sie beruhigten ihn nicht, denn seine Nervosität blieb. Alles hatte begonnen, als sich Jacob zurückgezogen hatte. Und hatte er sich nicht auch etwas seltsam verhalten?
Tiger Dschingis überlegte. Seine Erinnerung ließ ihn im Stich. Genau konnte er es nicht sagen, aber es war ihm schon etwas seltsam vorgekommen.
Seine Augen waren in ständiger Bewegung. Er suchte die Decke und die Wände ab, um irgendwelche Spuren zu finden, die sein Gefühl untermauerten. Auch das war nicht möglich. Es fiel ihm nichts auf. Abgesehen von der Stille, und die war sein Problem.
Der Mann, der sich in der Nachfolge des großen Dschingis Khan sah, wurde immer, kleiner, nicht körperlich, sondern von seiner Psyche her. So wie er handelte kein Tiger. Dieses Tier litt nicht unter seiner Angst. Er konnte es sich zumindest nicht vorstellen.
Wenn er ehrlich gegen sich selbst war, dann wäre er am liebsten verschwunden. Das konnte er auch nicht riskieren, denn er musste erst wissen, ob Kuan es geschafft hatte, seinen letzten Gegner auszuschalten. Erst dann konnte er aufatmen.
Tiger war immer bewaffnet. Er verließ sich gern auf seine Pistole. Die Luger trug er am hinteren Hosenbund in einer weichen Tasche aus Leder. Auf dem Stuhl bewegte er sich leicht nach vorn, um mühelos an die Waffe heranzukommen. Als er sie in der Hand hielt, fühlte er sich etwas sicherer. Er zielte mit ihr in die Leere des Zimmers hinein und verfolgte mit seinen Sinnen die kleinen Schweißtropfen, die an seinem Gesicht hinabrannen.
Sekunden vergingen, und es passierte nichts. Nur dass er mit der Waffe in das Zimmer hineinzielte, ohne dort ein Ziel zu sehen, das er hätte anvisieren können.
Es war einfach lächerlich, das musste auch er nach einer Weile zugeben und legte die Waffe aus der Hand. Er steckte sie nicht weg, sondern legte sie auf den Schreibtisch.
Es war warm im Raum. Auf einer Kiste in der Ecke stand ein Ventilator. Er überlegte, ob er das Gerät einschalten sollte, um sich etwas Kühlung zu verschaffen. Viel brachte das nicht. Da wurde die warme Luft nur verteilt.
Die Hose klebte an seiner Haut fest. Er drehte den Stuhl zur Seite und stand auf. Dabei ging er zwei Schritte vom Schreibtisch weg und zog sich den Stoff von seinen klebrigen Beinen. Es tat ihm gut, mal nicht zu sitzen, und so begann er mit seiner Wanderung durch das eigene Büro, in dem er sich noch immer wie ein Fremder fühlte. Etwas ging ihm völlig gegen den Strich, das stand fest, aber er konnte nicht sagen, was es war.
Noch nie zuvor war er auf so leisen Sohlen durch sein Büro geschlichen, und das noch mit gespitzten Ohren. Er war so verdammt angespannt, seine Augen bewegten sich - und er blieb plötzlich stehen, weil er ein Geräusch gehört hatte.
Es war schlecht zu identifizieren. Er musste erst darüber nachdenken. Es hatte sich nicht wie ein Klopfen oder Schaben angehört. Nein, nein, das war etwas anderes gewesen, und er dachte angestrengt darüber nach. Kein Klopfen, kein Schaben, sondern…
Es fiel ihm ein!
Ein Atmen!
Ja! Es hatte sich angehört wie ein Atmen, das allerdings nicht so laut und deutlich werden sollte, sondern lieber unterdrückt blieb, um nicht sofort gehört zu werden.
Plötzlich war wieder diese verdammte Gänsehaut da, die sich auf seinen Rücken legte. Er sah keinen Menschen, aber das Atmen, dieses schnelle Ausstoßen der Luft, das hatte er sich nicht eingebildet.
In den letzten Sekunden hatte Tiger sich nicht bewegt. Er wollte nur horchen und fühlen. Damit war es
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