1284 - Templerehre
wurde.
Sie atmete auf, als sie die Breitseite des Klosters vor sich sah.
Hinter einem Baum mit schorfiger Rinde blieb sie stehen, um zu beobachten. Auch jetzt war sie der Meinung, dass dies eigentlich kein richtiges Kloster war. Sie kannte andere, die aus mehreren Gebäuden bestanden und von großen Gärten umgeben waren. Das Kloster erinnerte sie mehr an ein Haus, das nur zufällig in dieser einsamen Gegend stand und ansonsten vergessen war.
Die Bewohner in der Umgebung hatten auch nie daran geglaubt, dass sich hier »richtige« Nonnen aufhielten.
Da war viel spekuliert worden, doch daran wollte Lisette nicht denken, als sie die breite Hausfront aus scharfen Augen beobachtete.
Da bewegte sich nichts. Bis zu dem Augenblick, als die Eingangstür von innen geschlossen wurde.
Für einen Moment war sie irritiert. Sie hatte nicht mitbekommen, dass die Tür offen gestanden hatte, aber sie war auch nicht weit geöffnet worden, sondern nur einen Spalt. Jedenfalls wusste sie jetzt, dass das Kloster besetzt war. Ob sich alle Nonnen dort aufhielten, war ihr egal.
Sie nahm noch die Fenster in Augenschein. Sie verteilten sich auf zwei Etagen, und sie waren klein, so dass man schon von Luken sprechen konnte. Deshalb würde es auch beim hellsten Sonnenschein nie warm und hell hinter den Mauern sein Die Düsternis blieb immer, und Lisette wunderte sich darüber, dass man sich in einer derartigen Umgebung wohl fühlen konnte.
Noch kann ich zurück!, dachte sie. Aber ich will nicht. Ich will es durchziehen. Was kann mir passieren?
Nicht viel. Sie werden mich schon nicht umbringen. Ich kann ihnen ja sagen, dass ich mich verlaufen habe. Die frommen Frauen werden mich schon nicht abweisen.
Über den letzten Gedanken musste sie selbst lächeln, denn so fromm waren die Frauen bestimmt nicht.
Vor dem Kloster war die Natur geordnet worden. Es gab keine Deckung mehr, aber jedes Auto konnte bis dicht an das Gebäude heranfahren, und das war wichtig.
Ihr Herz klopfte schon schneller, als sie sich aus der Deckung löste. Die letzte Strecke des Weges war die kürzeste, doch sie kam ihr am längsten vor.
Endlich stand sie vor dem Eingang.
Anklopfen oder versuchen, so die Tür zu öffnen? Sie entschied sich für die erste Möglichkeit, da sie das Gebäude nicht klammheimlich wie eine Diebin betreten wollte.
Heftig schlug sie mit der Faust drei Mal gegen die Tür und wartete ab. Die Schläge mussten einfach gehört worden sein, es sei denn, die Nonnen waren taub.
Sie wartete, und die Spannung in ihr nahm zu. Sie machte sich durch ein Kribbeln bemerkbar, das den gesamten Körper erfasste. Lisette überlegte noch, ob die Nonnen sie kannten, aber sie konnte sich nicht daran erinnern, ihnen schon mal begegnet zu sein. So würde ihre Ausrede vielleicht fruchten.
Die Nonnen ließen sich Zeit. Es konnte wich sein, dass sie die Frau vor dem Kloster sich erst heimlich durch ein Fenster anschauten, um sicher zu sein, dass ihnen auch keine Gefahr drohte.
Es wurde geöffnet!
Die Tür war sehr schwer, und ebenso schwerfällig zog die Hand sie auch auf. Die Besucherin ging unwillkürlich einen Schritt nach hinten. Sie hatte sich auf einiges eingestellt und erschrak trotzdem leicht, als sie die Person sah, die auf der Schwelle stand und ihr entgegenschaute. Der Blick war direkt in ihre Augen gerichtet. Er war bohrend, misstrauisch und fordernd zugleich.
Lisette lächelte. Sie war froh, es zu können. Viel lieber wäre sie weggelaufen, aber als Fremde musste sie sich eben dazu zwingen, aber das Lächeln wurde nicht erwidert. Lisette sah ein Gesicht mit einem misstrauischen Ausdruck. Die Frau vor ihr war klein und stämmig. Sie wirkte irgendwie böse, und der Mund zeigte an beiden Seiten eine Krümmung nach unten.
»Was wollen Sie?«
Die Frage war nicht eben freundlich gestellt worden. Ein sensibler Mensch hätte jetzt auf der Stelle kehrtgemacht und wäre verschwunden. Nicht so Lisette.
»Pardon, Schwester, aber ich habe mich leider verlaufen. Ich bin fremd hier. Ich wollte im Wald wandern, und nun finde ich den Rückweg nicht mehr.«
»Das ist Pech.«
»Ich weiß, und ich werde ihn auch finden, aber ich möchte zugleich sagen, dass ich Durst habe. Wenn Sie vielleicht ein Glas Wasser hätten und ein Stück Brot, denn Hunger verspüre ich ebenfalls.«
»Warten Sie.«
»Danke.«
Die Tür wurde wieder zugeschlagen, und Lisette fragte sich, ob sie den richtigen Weg genommen hatte.
Wenn ihr die Nonnen Brot und Wasser verweigerten, dann
Weitere Kostenlose Bücher