1284 - Templerehre
hatten sie etwas zu verbergen. Ob sie es so weit kommen lassen würden, da sie ja damit rechnen mussten, dass sich das herumsprach, daran wollte Lisette nicht glauben.
Sie hatte sich nicht geirrt. Die Nonne öffnete die Tür erneut, und sie hatte weder Wasser noch Brot mitgebracht. Ihre Hände waren leer. Sie nickte Lisette zu.
»Du kannst zu uns kommen.«
Trotz der vertraulichen Anrede war das Misstrauen der Zauberin nicht gewichen. Sie holte noch einmal tief Luft und versuchte auch, sich von dem Gedanken zu befreien, plötzlich in die Höhle des Löwen gebeten zu werden, die düster vor ihr lag.
Zwar fiel durch die Fenster noch das Licht des Tages, aber es breitete sich nur schwach aus. So blieben viele Schatten bestehen, die sich in den Ecken und Winkeln zusammengezogen hatten, als wollten sie dort die Sicht auf irgendwelche unheimliche Gestalten nehmen.
Zudem war es still. Wie in einer Kirche oder wie in einem Kloster, in dem sich die Menschen auf sich selbst besannen. Lisette versuchte, mit schnellen Blicken mehr von der Umgebung zu sehen, aber die Nonne, die ihr die Tür geöffnet hatte, blieb die einzige Person. Andere tauchten nicht auf, was Lisette schon wunderte.
Sie sah eine Treppe in die Höhe führen. Sie sah auch ein altes Regal in der Ecke stehen und entdeckte später einige Stühle und einen recht großen Tisch. Auf ihm stand das Glas Wasser. Eine Scheibe Brot lag daneben auf einem Teller.
»Hier ist alles, was du brauchst.«
»Danke.«
Als Lisette das Wasser und das Brot sah, merkte sie, dass sie tatsächlich Hunger hatte. Sie lächelte knapp, griff zum Glas und trank einen ersten Schluck.
Das Wasser war kalt und erfrischte sie. Die Nonne stand nicht weit von ihr entfernt und ließ die Besucherin nicht aus den Augen. Das Misstrauen in ihrem Blick war nicht verschwunden, und auch der Mund sah noch immer verkniffen aus.
Lisette biss ein Stück von der dicken Brotscheibe ab. Sie kannte das Brot. Es wurde von einem Bäcker in Clecy als Spezialität verkauft.
Sie kaute langsam, trank ab und zu und sah weiterhin den Blick auf sich gerichtet.
Plötzlich sprach die Nonne. Was sie sagte, ließ Lisette zusammenzucken. Sie hätte sich beinahe verschluckt und konnte nur mühsam ein Husten unterdrücken.
»Du hast dich nicht verlaufen!«
»Wieso?«
»Ich kenne dich!«
Lisette legte das Brot wieder zurück auf den Teller. Sie hämmerte sich ein, jetzt eine gute Schauspielerin zu sein, denn zugeben wollte sie nichts.
»Aber ich kenne dich nicht.«
»Das ist auch egal.«
»Und woher willst du mich kennen?«
»Aus dem Ort. Dort habe ich dich schon gesehen. Aber nicht nur da. Auch in der freien Natur. Und deshalb glaube ich nicht, dass du dich hier verlaufen hast. Du kennst alles sehr genau. Nur unser Kloster nicht. Und das wolltest du ausspionieren.«
»Nein, nein, ich habe…«
»Hör auf zu lügen. Mein Gedächtnis ist besser als das einer jüngeren Frau. Ich kann mich verdammt gut darauf verlassen. Brot und Wasser habe ich dir gern gegeben, aber ich möchte auch eine Gegenleistung dafür bekommen.«
»Welche denn?«
»Die Wahrheit. Ich will einfach von dir nur die Wahrheit wissen. Das ist alles.«
Mach es weiter!, hämmerte sich Lisette ein. Lass dich nicht von deiner Meinung abbringen. »Die Wahrheit habe ich dir gesagt. Ich habe mich wirklich verlaufen und wollte…«
»Hör auf!« Der Befehl klang wie ein Schrei. »Ich kann es nicht haben, wenn man mich anlügt. Warum bist du wirklich gekommen? Was hast du hier gewollt? Verflucht noch mal, ich will, dass du endlich redest. Es könnte dir sonst schlecht ergehen.«
Jetzt erkannte auch Lisette, dass man sie durchschaut hatte. Sie biss sich auf die Lippen, sie schluckte, räusperte sich und ballte ihre Hände zu Fäusten zusammen. Ihr Blick hatte einen finsteren Ausdruck bekommen, und sie überlegte fieberhaft, wie sie aus dieser Klemme herauskam.
»Wir können auch andere Saiten aufziehen«, flüsterte die Nonne scharf.
»Wir?«
»Ja, schau dich um!«
Lisette tat es mit einem furchtbaren Gefühl. Schon allein die Düsternis hatte sie gestört, doch jetzt musste sie schon hart schlucken, als sie sah, dass sich auch an den dunklen Stellen etwas bewegte.
Sie sah auch eine zweite offene Tür. Über die Schwelle schritten soeben zwei Frauen, die eine dritte so untergefasst und angehoben hatten, dass der Körper über dem Boden schwebte.
Sie zählte nach und kam auf die Zahl fünf. Zu viele Gegnerinnen für sie, und die Falle drückte
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