1284 - Templerehre
etwas unternommen werden, wenn er zurückkehrte und die Lage erkundet hatte.
Das alles sah nicht unbedingt gut für ihn aus. Und er hörte jetzt wieder den Hufschlag, dessen Echo durch die offene Tür drang.
Godwin kannte sich aus. An der Lautstärke des Geräuschs konnte er abschätzen, wie weit sich der oder die Reiter noch vom Ziel befanden. Und hier bekam er einen leichten Schauer, denn die Kavalkade schien schon ziemlich nahe gekommen zu sein.
Plötzlich war der Tote vergessen. Godwin hatte andere Sorgen, und die trieben ihn zur Tür hin.
Im toten Winkel blieb er stehen. Er beugte den Kopf vor und schaute nach draußen. Zuerst wollte er nicht glauben, was er sah, dann aber wurde er bleich wie eine alte Leiche und ballte die Hände zu Fäusten. Er schloss die Augen, weil er das Unglaubliche nicht mehr sehen wollte. Danach blickte er wieder hin und sah das Gleiche.
Die Kavalkade ritt auf das Kloster zu. Es waren die Roten Mönche, aber sie waren nicht allein. Sie saßen auf den Rücken ihrer Pferde, ihre Beute jedoch schleiften sie hinter sich her. Es waren die Toten, die an Bändern hingen und über den Boden glitten.
Die Männer des Godwin de Salier…
***
Ich war noch da. Ich fühlte mich auch nicht wie bei einer Zeitreise, die ich schon öfter in meinem Leben unternommen hatte, wenn es mir gelungen war, durch ein Tor zwischen den Zeiten zu gleiten.
Aber es war trotzdem anders, denn ich kam mir vor wie ein Gefangener, der sich aus eigener Kraft nicht mehr befreien konnte, weil er zwischen den beiden »Zeitschienen« eingeklemmt war.
Ich war gefangen!
Es gab natürlich die normale Umgebung. Ich sah Lisette am Rand des Friedhofs stehen. Nach wie vor hielt ich mein Kreuz in der Hand. Seine Pendelbewegungen waren schwächer geworden. Es gab eine andere Kraft, die dafür sorgte. Die Ausschläge wurden jedes Mal gestoppt und wurden schließlich so schwach, dass sie in kreisförmige Bewegungen ausliefen und sich das Kreuz wenig später überhaupt nicht mehr bewegte.
Aber es gab keinen Zweifel daran, dass ich den Templer Godwin de Salier sah. Zu gut kannte ich den blondhaarigen Kämpfer, an dessen Seite auch ich so manchen Fight erlebt hatte. Nur sah er hier nicht so aus wie ich ihn kannte. Er trug zwar keine Rüstung, aber die Mode vor einigen hundert Jahren unterschied sich schon von der in unserer Zeit.
Ich sah, dass er mit einem Schwert bewaffnet war. Seine Hosenbeine lagen eng an. Einen Wams hatte er ebenfalls umgebunden, und das dunkle hemdähnliche Oberteil lag ebenfalls dicht am Körper. Für mich sah er aus wie ein Mann, der auf der Pirsch war. Er schaute sich hin und wieder um, er ging langsam, aber er entfernte sich nicht unbedingt von mir. Zumindest überkam mich der Eindruck.
Etwas war anders bei ihm oder an mir. Hier stimmten die Verhältnisse nicht mehr. Ich schaute zwar in die Vergangenheit hinein, aber diese Tatsache hatte auch mich stark beeinflusst. Ich konnte mich nicht mehr so bewegen wie ich es gern getan hätte.
Wie weit war Godwin entfernt?
Abzuschätzen war hier nichts. Aber ich wollte ihn nicht so einfach ziehen lassen. Ich musste mich zumindest bemerkbar machen. Er sollte wissen, dass er gesehen wurde.
Ich rief seinen Namen! Hatte er mich gehört? Eine Reaktion sah ich nicht.
Dann versuchte ich es noch einmal. Diesmal lauter, und ich strengte mich dabei an. Der Ruf schallte aus meinem Mund. Meiner Ansicht nach musste er den Mann erreichen, doch ich hatte Pech. Godwin de Salier hörte mich nicht. Und jetzt war mir auch klar geworden, warum das nicht der Fall war. Mein Ruf war auf dem Weg zu ihm praktisch erstickt. Die Lücke zwischen den Zeiten hatte ihn aufgefangen.
Nun überkam mich erst richtig das Gefühl, ein Gefangener zu sein. Wenn ich recht darüber nachdachte, stand ich tatsächlich auf der Grenze zwischen den beiden Komponenten. Vielleicht mit einem Fuß in der Gegenwart und mit dem anderen in der Vergangenheit, und das hatte ich meinem Kreuz zu verdanken, das diese magische Zone auf dem Friedhof geschaffen hatte.
Abermals versuchte ich es. »Godwin!«, brüllte ich. Wieder passierte das gleiche Phänomen. Er hörte mich nicht, er reagierte auch nicht. Seine Zeit war für mich einfach tabu.
Das zu akzeptieren, fiel mir nicht leicht. Zudem wollte ich kein Gefangener sein. Entweder nach vorn oder zurück, aber nicht den Puffer zwischen den Zeiten spielen.
Welche Möglichkeiten gab es, dies zu ändern?
Meine Gedanken jagten sich. Ich überlegte, ich drehte es hin
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