1285 - Das Spiel des Lebens
entgegen. Quolar hatte keine Ahnung, daß mir mit dieser Anordnung ein großer Gefallen getan worden war. Der Mundschenk leckte sich schmatzend die Lippen, fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund und wischte die Hand an seinem feuerroten Gewand ab. Dann schritt er zu einem flachen Schrank und holte eine große Sanduhr hervor. Er stellte sie so auf, daß der Sand zu rieseln begann.
„Macht's Euch bequem", riet er mir. „Wein ist noch da. Wenn die Uhr abgelaufen ist, pocht an jene Tür dort, und der Herr wird Euch hereinrufen. Ich muß mich auf die Beine machen."
Er winkte mir zu; dann öffnete er eine andere Tür - dieselbe übrigens, durch die ich hereingekommen war - und machte sich davon. Ich musterte die Sanduhr. Zehn Minuten lang würde sie mindestens rieseln. Und was, wenn ich erst nach zwölf oder dreizehn Minuten an Targiivs Tür pochte? Dem Tyrannen war es gleichgültig, wie lange ich im Vorzimmer wartete.
Ich streifte mir die Schuhe von den Füßen und schob sie zwischen zwei hohe Schränke, so daß keiner, der zufällig des Weges kam, sie bemerken würde. Dann öffnete ich vorsichtig die Tür, durch die Quolar sich soeben auf den Weg gemacht hatte. Vor mir lag eine aus Sandsteinstufen zusammengefügte Wendeltreppe. Ein Stockwerk tiefer hörte ich die Schritte des Mundschenks. Ich zog die Tür vorsichtig hinter mir ins Schloß. Dann hastete ich die kalten, harten Stufen hinab.
*
Es war nicht schwer. Quolar mit seinen dreihundert Pfund Leibesgewicht hatte Mühe mit dem Treppensteigen, aufwärts ebenso wie abwärts. Auf jedem Stockwerk machte er halt, um zu verschnaufen. Bei einer dieser Pausen holte ich ihn ein. Er bemerkte mich nicht.
Ich war lautlos auf meinen wollenen Socken, und der Mundschenk prustete so laut, daß es durch den ganzen Treppenturm zu hören war.
Für Ritterlichkeit war hier keine Zeit. Ich hatte weiter oben schon eine Fackel aus ihrer Halterung gezogen und die Flamme gelöscht Ich verletzte sämtliche Regeln des Anstands und der Ehre, als ich Quolar von hinten niederschlug. Er gab einen ächzenden Laut von sich, ging in die Knie und wäre um ein Haar den Rest der Treppe hinuntergepurzelt, wenn ich ihn nicht im letzten Augenblick noch an seinem roten Gewand zu fassen bekommen hätte.
Ich öffnete die nächste Tür. Das Glück war auf meiner Seite. Hinter der Tür lag ein finsterer, dunkler Raum, in dem alte Möbel aufbewahrt wurden. Ich schlug die Lunte, um wenigstens ein bißchen Licht zu haben. Mit dem Dolch schnitt ich ein paar Streifen und einen kräftigen Lappen aus Quolars Kleid. Mit den Streifen fesselte ich ihn; den Lappen schob ich ihm als Knebel in den Mund und befestigte ihn so, daß er ihn mit der Zunge nicht entfernen konnte. Mehr ließ sich in der kurzen Zeit nicht tun. Ich baute darauf, daß das Glück mir weiterhin hold war.
Ich eilte die Treppe wieder hinauf. Die Sanduhr war noch nicht abgelaufen. Niemand war inzwischen hier gewesen, soweit ich das beurteilen konnte. Ich zog die Schuhe wieder an, und als der letzte Sand durch den schmalen Hals der Uhr gerieselt war, klopfte ich an die Tür, die Quolar mir bezeichnet hatte. Die raue Stimme des Tyrannen hieß mich eintreten.
Über meine Audienz bei Targiiv ist nicht viel zu berichten. Er behandelte mich wie einen verarmten Vetter - von oben herab, aber mit verwandtschaftlicher Güte. Wir sprachen über das Anliegen, das mich nach Denguon gebracht hatte. Ich erzählte von meinem Mißgeschick mit Meara, der schönen Tochter des Wirtes im Löwen und Schwert, erklärte jedoch gleichzeitig, daß ich inzwischen vollwertigen Ersatz gefunden hätte. Der Tyrann grinste verständnisvoll. Es ging in der Tat das Gerücht, daß er in jüngeren Jahren selber ein tüchtiger Weiberheld gewesen sei.
Draußen wurde es dunkel. In mir wuchs die Unruhe. Mit jeder verstreichenden Minute wurde die Gefahr größer, daß man Quolar entdeckte. Ich ließ vorsichtig in die Unterhaltung einfließen, daß ein Rendezvous auf mich wartete. Targiiv hatte Verständnis.
Er entließ mich mit ein paar gutgemeinten Ratschlägen. Alles in allem hatte ich den Eindruck gewonnen, daß ich für ihn nicht zu denen zählte, die er im Verdacht hatte, Revolutionäre zu sein.
Zu meiner großen Erleichterung fand ich Quolar noch in sicherer Verwahrung. Als ich die Lunte anzündete, sah ich, daß er wach war. In seinen Augen erschien zunächst der Ausdruck verwunderten Staunens. Dann begann er, den Zusammenhang zu ahnen, und sein Blick wurde
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