1285 - Das Spiel des Lebens
zornig. Ich zog den silbernen Hammer aus seiner Schärpe und hob ihn zum Schlag.
„Es geht hier um mehr als nur das Leben eines fetten, alten Mundschenks", sagte ich zu ihm. „Der Tyrann wird die kommende Nacht nicht überleben. Wenn alles vorüber ist, wirst du erkennen, daß du Grund hast, mir dankbar zu sein. Dort, wohin ich dich bringe, geschieht dir nichts, und morgen bist du ein freier Mann, der gehen kann, wohin er will.
Bis dahin muß ich mich deiner Fügsamkeit versichern. Wir verlassen jetzt die Burg. Wir gehen auf einem Weg, den du mir weisen wirst. Niemand darf uns sehen. Ich habe deinen Hammer und meinen eigenen Dolch. Du gehst vor mir her. Ich schwöre dir: Du bist ein toter Mann, sobald du eine einzige unvernünftige Bewegung machst."
Das wirkte. Quolar war in den Diensten seines Herrn groß geworden. Er hatte sein Leben lang keine Not gelitten, höchstens hin und wieder einmal einen Wutausbruch des Tyrannen über sich ergehen lassen müssen. Unter den dreihundert Pfund Speck, Fleisch und Knochen schlug ein Herz aus Sirup. Der Mundschenk war im Grund seiner Seele ein Feigling. Seine Lippen zitterten, als ich ihm den Knebel aus dem Mund nahm.
„Keinen Mucks werde ich von mir geben, Herr", beteuerte er. „Gehorsam will ich sein.
Ich verspreche es Euch."
Ich löste seine Fesseln. Er schritt vor mir her. Ungesehen erreichten wir den Ausgang des Treppenturms. Auf dem Hof brannten Fackeln, aber Quolar wußte einen Weg, der durch die Dunkelheit führte. Wir erreichten ein Seitentor in der mächtigen Burgmauer. Zu meinem Erstaunen war es unbewacht; dann fiel mir ein, daß der größte Teil der Burgwache auf Targiivs Geheiß hin abgezogen worden war. Das Glück lachte mir heute übers ganze Gesicht. Quolar brachte einen mächtigen Schlüssel zum Vorschein, mit dem er das Torschloß öffnete. Draußen schloß er sorgfältig wieder ab. Den Schlüssel nahm ich an mich.
Auf Seitenstraßen und Hintergassen gelangten wir zum Krug und Schwan. Niemand sah uns, als wir mein Quartier durch den Seiteneingang betraten. Bisher war kein Wort zwischen uns gefallen. Der Mundschenk hatte sich mustergültig benommen. Aber ich wäre ein Narr gewesen, wenn ich daraus hätte schließen wollen, daß er endgültig resigniert hätte. Ich überredete ihn dazu, einen Becher Wein von mir anzunehmen. Das Getränk würzte ich auf dieselbe Weise wie seinerzeit für die schnarchende Maid. Nur nahm ich die dreifache Menge des Gewürzes, so wie auch Quolar dreimal so schwer war wie die nächtliche Schöne, die noch heute (fälschlicherweise) davon träumt, daß sie vom Sohn eines Grafen beschlafen wurde.
Quolar tränk den Kelch leer. Die Wirkung setzte sofort ein. Der Mundschenk merkte, was mit ihm geschah. Er hatte selbst wohl schon genug Trünke dieser Art gemischt.
„Das... hättest du... nicht zu tun brauchbrauchen", lallte er. „Ich bin dir treu... ich bin dir treu..."
Weiter kam er nicht mehr. Er sank in sich zusammen. Ich ließ ihn liegen, wo er war.
*
Ich kleidete mich an. Zu einer Gelegenheit wie der heutigen, entschied ich, taugte nur das Feinste vom Feinen. Ich wählte eine nicht allzu weite Bundhose, ein Paar blütenweißer Strümpfe und langschnäbelige Schuhe mit goldenen Schnallen und kräftigen Absätzen. Dazu ein mit viel Rüschen verziertes, rosenholzfarbenes Hemd und eine mit Schnüren versehene Jacke aus dunkelrotem Samt. Ich puderte mir das Haar und setzte einen dreispitzigen Hut auf, dessen Ränder mit Halbedelsteinen besetzt waren.
Bevor ich mein Bild begutachten konnte, klopfte es an einer der Türen. Es war der Wirt.
Er wollte wissen, ob mir an diesem Abend noch etwas gefällig sei. Es kam mir gut zustatten, daß ich schon fertig angekleidet war. Auf diese Weise hatte ich keine Mühe, ihn zu überzeugen, daß ich heute nacht ein Rendezvous außer Haus wahrzunehmen gedächte. Ich fertigte ihn unter der Tür ab, so daß er den schlafenden Mundschenk nicht zu sehen bekam. Er wünschte mir augenzwinkernd viel Vergnügen und bedankte sich mit drei tiefen Bücklingen, als ich ihm ein Geldstück in die Hand drückte.
Daraufhin schritt ich zur Inspektion. Ich drehte mich vor dem Spiegel, zupfte hier eine Rüsche zurecht, strich dort eine Falte glatt. Ich schnallte mir den Degen um. So konnte ich mich sehen lassen. Mein Vater wäre stolz auf mich, wenn ich ihm jetzt unter die Augen träte.
Es war etwas Merkwürdiges an dem Bild, das ich im Spiegel sah. Es kam mir vor, als hätte ich es in ferner
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