1287 - Wiedersehen im Jenseits
Verständnis.«
Katja war perfekt. Auch in der Kleidung. Die grüne Bluse, der beige und nicht zu kurze Rock, die mit Klarlack bestrichenen Fingernägel - sie hätte auch als perfekte Chefsekretärin durchgehen können.
Einen weißen Kittel sah Sarah nicht. Überhaupt wies nichts darauf hin, bei einem Arzt zu sein, und das war bewusst so gemacht worden.
Die Bilder an den Wänden zeigten positive Motive. Menschen, die verzückt lächelten, oder in warme Pastelltöne gemalte Landschaften. Außerdem sah Sarah einen hellen Teppichboden, kleine Möbel, zwei weiße Wandschränke und einen großen Strauß Blumen auf einem runden Glastisch.
Selbst der Laptop wirkte nicht störend, und durch das große Fenster glitt der Blick des Wartenden in den blauen Himmel über London hinein. Die Helligkeit täuschte. Zwar schien die Sonne, aber der nördliche Wind hatte die Temperaturen schon gedrückt.
Katja hatte den Mund geöffnet, um eine Frage zu stellen, als die zweite Tür aufgezogen wurde. »Die Formalitäten erledigen wir später«, sagte sie noch schnell und erhob sich.
»Mr. Ascot, das ist Mrs. Sarah Goldwyn.«
»Ich freue mich«, sagte der Psychologe, der auf der Türschwelle darauf wartete, dass ihm Katja die Unterschriftenmappe abnahm, was sie auch tat. »Danke, meine Liebe.«
Zu Sarah gewandt sagte er: »Bitte, kommen Sie doch herein.«
»Danke.«
Sarah hatte sich in der kurzen Zeit Abraham Ascot genau angeschaut. Sie war etwas durcheinander, weil sie ihn nicht hatte einschätzen können. Er war ein kleiner Mensch, recht dünn. Er trug keinen Kittel, sondern eine dunkelbraune Hose und einen senfgelben Pullover. Das Haar wuchs schütter auf seinem Kopf und war nach hinten gekämmt worden. Ein schmales Gesicht, ein etwas weicher Mund und eine Goldrandbrille gaben ihm ein leicht intellektuelles Aussehen. Gesprochen hatte er mit einer weichen Stimme, und er ließ Sarah in sein »Behandlungszimmer« vorgehen, das ebenfalls nicht wie eine Arztpraxis aussah. Zwei Fenster ließen Sonnenlicht herein, was allerdings zu diesem Zeitpunkt nicht der Fall war, denn die Rollos waren herabgelassen worden. Durch die Lücken der Lamellen fiel das Licht in weichen Streifen.
Es gab die Couch. Sarah wäre enttäuscht gewesen, hätte sie dieses Möbelstück nicht vorgefunden.
Allerdings war sie mit einem hellen Stoff bezogen, besaß ein hohes Kopf- aber kein Fußende und stand auf vier Alufüßen auf dem bläulich schimmernden Teppichboden. Ansonsten gab es einen Schreibtisch und eine Sitzecke. Allerdings auch zwei schmale Schränke, die nicht einsehbar waren.
»Dann nehmen Sie doch bitte Platz, Mrs. Goldwyn.«
»Danke.«
Die Sessel waren schmal, aber bequem. Ein runder Tisch stand davor. Dort sah Sarah auch das Tablett mit verschiedenen Säften und natürlich auch mit Mineralwasser.
»Möchten Sie etwas trinken, Mrs. Goldwyn?«
»Gern.«
»Wasser oder…?«
»Ich bleibe beim Wasser.«
»Gut.«
Mochte der Mann selbst auch recht unscheinbar sein, eines jedoch hob ihn aus der Masse der Menschen hervor. Das war seine Stimme. Sie besaß einen vollen Klang, und er schaffte es auch, sie so zu variieren, dass man davon regelrecht gefangen genommen wurde. Auch Sarah konnte sich dieser Faszination nicht entziehen.
Die Doppeltür war geschlossen. Kein Wort, was in diesem Raum gesprochen wurde, würde nach außen dringen, und Sarah sah den Blick des Mannes freundlich und prüfend zugleich auf sich gerichtet.
»Wer zu mir kommt, der hat ein Problem, Mrs. Goldwyn. Ich möchte gern von Ihnen wissen, worunter Sie leiden.«
»Es sind Ängste.«
Ascot nickte, als hätte er so etwas schon geahnt. »Nun gibt es die verschiedensten Ängste, Mrs. Goldwyn. Da müssen Sie schon genauer werden. Wovor haben Sie Angst?«
»Das ist schwer zu sagen.«
»Entschuldigen Sie, aber in Ihrem Alter kann man auch Angst vor dem Ende haben.«
»Nicht schlecht, Mr. Ascot.«
»Sind wir dann auf dem richtigen Weg?«, fragte er sofort danach.
»Nein, das sind wir nicht, Mr. Ascot. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich habe mein Leben gelebt, wenn man so will, und es war erfüllt.«
»Dann nennen Sie mir den eigentlichen Grund.«
Lady Sarah hatte sich schon etwas überlegt. Jetzt tat sie so, als müsste sie noch nachdenken. »Wenn ich ehrlich sein soll, dann leide ich unter einer Art von Verfolgungsangst. Mein Problem ist also konkret. Es hat nichts mit der allgemeinen Angst der Menschen vor einem Krieg zu tun. Ich leide wirklich unter
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