1287 - Wiedersehen im Jenseits
spürte den leichten Stich, als hätte ihn die Spitze einer Nadel berührt.
»Wiedersehen im Jenseits?«, fragte er nahezu verzweifelt und mit leicht schluchzender Stimme.
»Ich verspreche es dir!«
»Dann…« Er sagte nichts mehr. Sie gab seiner Hand Druck. Die Waffe stach in seinen Körper hinein, doch das reichte Helena nicht. Sie warf sich gegen ihn. Mit einer Hand hielt sie ihn am Rücken fest, und mit der anderen drückte sie die schmale Klinge so tief wie möglich in den Körper des Mannes…
***
Zu fliegen wäre besser gewesen, aber dazu waren wir leider nicht in der Lage. Und so mussten wir uns auf die vier Räder eines Autos verlassen. Von einer Höllenfahrt wollte ich nicht sprechen, aber viel fehlte nicht. Da war Suko in seinem Element, und mir kam es manchmal vor, als wollte er das Jaulen der Sirene auf dem Dach durch die Geschwindigkeit noch überholen.
Ohne Blechschaden erreichten wir unser Ziel, den Friedhof. Beide hätten wir uns gewünscht, bis zum Grab der schönen Helena durchfahren zu können. Das war leider nicht möglich, und so mussten wir sprinten. Nur gut, dass mir das Gelände bekannt war. Ich konnte Suko führen und hielt mich nicht an die Wege, sondern sprintete über Gräber hinweg, durchbrach Büsche und sah endlich die breite Treppe vor mir, die in die Nähe der Gruft führte.
Bei Tageslicht wäre alles leichter gewesen. Das stand uns leider nicht zur Verfügung. Die Lampen wollten wir auch nicht einschalten, um uns nicht zu verraten.
Beim Näherkommen stellten wir fest, dass wir genau richtig gehandelt hatten. Helena hatte sich wieder dorthin zurückgezogen, wo sie längst hätte vermodert sein sollen.
Die Tür zur Gruft stand offen. Nicht sehr weit, doch uns reichte es aus. Wir schlichen näher. Es war nichts zu hören. Kein Flüstern aus der Gruft. Keine Schreie, auch kein Schaben oder Kratzen.
Ich schaute Suko an.
»Ist dir das zu still?«, fragte er.
»Irgendwie schon.«
»Der Tod ist selten laut.«
Da hatte er etwas Wahres gesagt. Danach holte er seine Dämonenpeitsche hervor und schlug den Kreis. Die Riemen rutschten raus, er nickte mir zu, doch das hätte er sich sparen können, denn ich drängte mich bereits in die Gruft hinein.
Licht gab es nicht. Schatten füllten den unheimlichen Raum aus. Aber andere Schatten als die, die ich bei meinem ersten Besuch erlebt hatte. Ich sah vor mir auf dem Boden so etwas wie ein Gebilde.
Suko schaltete trotzdem seine kleine Leuchte ein. Er stellte den Strahl breit, und so erwischte der Fächer das von mir entdeckte »Gebilde«.
Im kalten Licht der Lampe erkannten wir sogar Kleinigkeiten. Zwei Personen hockten am Boden. Es war die schöne Helena, und es war Abraham Ascot, der von Helena gehalten wurde. Sie saß, er lag mit dem Rücken halb auf ihr. Seine Brust war für uns zu sehen und auch der Griff des Messers, der nach oben ragte.
Alwin lebte, aber Helena hatte es geschafft, sich ihren Liebhaber letztendlich doch noch zu holen…
***
Das Schweigen hielt nicht lange an, denn die Frau im roten Kleid bewegte sich, und wir hörten ihr leises Lachen, das wohl mehr einem Kichern gleichkam.
Suko leuchtete gegen ihr Gesicht. Es sah anders aus als in der Praxis. Es wirkte frischer und jünger, als hätte sie eine Kur hinter sich. In diesem speziellen Fall war es eine besonders makabre Kur, die mit dem Tod eines Menschen geendet hatte.
Bevor wir ein Wort sagen konnten, stand Helena mit einer geschmeidigen Bewegung auf. Sie wirkte wirklich wie verjüngt, und ihre Augen funkelten.
Um den Toten kümmerte sie sich nicht. Ja, ihre Augen funkelten, der Mund zeigte ein verzerrtes Lächeln. Mich erinnerte sie in diesem Augenblick an Lucia di Lammermoor aus der gleichnamigen Oper von Donizetti, kurz bevor sie ihre berühmte Wahnsinnsarie singt. Aber ihr fehlte die blutige Kleidung und auch das blutige Messer in der Hand. Trotzdem war es makaber genug.
Und sie sprach auch. »Ah… meine neuen Liebhaber. Gleich zu zweit seid ihr gekommen, welche eine Wonne. Ich werde euch Welten zeigen, die ihr noch nie erlebt habt und…«
Ich zog meine Waffe. Sie sah es und verstummte.
Suko meldete sich. »Lass mich es machen, John. Diesmal ist die Dämonenpeitsche sogar besser als dein Kreuz.«
Er hatte Recht. Gegen die altägyptische Magie war mein Kreuz manchmal machtlos. Selbst das Ankh hatte sich mit seiner Kraft zurückgehalten.
Sie breitete die Arme aus. »Kommt zu mir. Ich will euch haben. Ihr sollt all die Wonnen erleben, die
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