1288 - Das unheimliche Mädchen
fuhr herum und riss dabei das Ruder aus dem Wasser. Sie wollte nach mir schlagen, aber ich war schneller und wehrte im Hochkommen ihre Hand ab.
Ich rollte mich über die Bordwand. Der alte Kahn schaukelte bedrohlich, aber er kenterte nicht.
Es gab nur eine Ruderstange, die Gabriela mit beiden Händen festhielt. Sie starrte mich dabei an und wusste wohl nicht, ob sie die Stange gegen mich einsetzen sollte.
Es war für mich kein Problem, sie ihr aus den Händen zu ziehen. Dann nickte ich ihr zu. »Ich glaube, das ist einzig und allein eine Sache zwischen uns beiden…«
***
Es war ruhig geworden. Auch das Klatschen des Wassers hatte aufgehört, denn ich tauchte das Ruderblatt nicht mehr ein, weil wir mittlerweile das Ziel erreicht hatten.
Ich war aus der Uferregion in die Mitte des Teichs gerudert und hatte dort die Stange aus dem Wasser gezogen. Sie lag jetzt der Länge nach im Boot.
Gabriela Monti hockte noch immer auf der schmalen Sitzbank im Heck. Ich saß ihr gegenüber und schaute sie an, weil ich in ihrem Gesicht lesen wollte.
Sie hatte nichts gesagt. Die Lippen waren zusammengepresst. Die Arme wirkten wie zwei Stöcke, die sie zu beiden Seiten des Körpers nach unten gedrückt hatte, sodass sie sich mit den Händen auf der Sitzbank abstemmen konnte.
Zwischen uns stand das Schweigen wie eine dicke Mauer. Keiner traute sich zunächst, sie aufzureißen. Gabriela wich meinem Blick aus. Sie hatte ihren gesenkt, und irgendwie wirkte sie in ihrer Haltung wie eine große Verliererin.
Kein Vogel flatterte über unsere Köpfe hinweg. Kein Fisch huschte aus dem Wasser, um mit einem Klatschen wieder zurückzufallen. Es war so ungewöhnlich still, und meine Stimme unterbrach diese Stille. Da brauchte ich wirklich nicht laut zu sprechen.
»Du weißt jetzt, dass es an dir liegt, wenn das Feuer erscheint«, sagte ich ohne einen Vorwurf in der Stimme.
Sie nickte. »Sie wollten mich nicht.«
Ich musste erst nachdenken, wen sie meinte, und fragte dann: »Hast du von den Nonnen gesprochen?«
»Ja. Ich spürte ihre Feindschaft. Sie lehnten mich ab. Sie haben mich sogar gehasst. Das merkte ich überdeutlich. Es herrschte eine kalte Atmosphäre, sodass ich innerlich fror. Sie wünschten mich zum Teufel, Ich habe ihre Gedanken gespürt. Sie hätten es erst gar nicht zu sagen brauchen. Ja, sie wünschten mich zum Teufel.«
»Das ist nicht wahr, Gabriela.«
Sie nickte heftig. »Doch, es stimmt.«
»Nun gut, wenn du das sagst, dann akzeptiere ich das. Aber warum haben sie dich nicht gemocht? Das muss doch einen Grund haben. Sie kennen dich nicht. Sie konnten dich einfach nicht ablehnen. Wenn du mir das bitte erklären könntest…«
Ich hatte wohl den richtigen Ton getroffen, denn sie hob jetzt ihren Kopf an. »Sie haben gemerkt, dass ich anders bin.«
»Wie anders?«
Gabriela zuckte die Achseln.
»Bitte, das musst du doch wissen.«
»Etwas ist in mir, das weißt du doch. Zunächst habe ich mich gefreut, als ich bei dir sein konnte, dann aber hat mich das sehr gestört. Die innere Stimme sagte mir, dass ich mich vor dir in Acht nehmen soll. Darauf hörte ich.«
Das war etwas ganz Neues. So fragte ich zurück. »Du hast eine innere Stimme gehört?«
»Ja, das habe ich.«
»Eine fremde?«
Sie hob die Schultern.
»Bitte, Gabriela, war es eine fremde Stimme? Oder gehörte sie zu dir selbst? Du weißt doch, dass Menschen innere Stimmen haben, auf die sie oft hören.«
»Ja, schon.«
Da sie nichts mehr sagte, fragte ich weiter. »Sorgt diese innere Stimme auch dafür, dass du in der Lage bist, Menschen und Gegenstände in Brand zu stecken?«
Zuerst sah es aus, als wollte sie mir keine Antwort geben, doch dann sagte sie: »Es kommt so plötzlich. Dann ist die Hitze da. Ja, die Hitze und das Feuer. Sie verwandelt sich in Feuer, wenn ich mich auf ein Objekt konzentriere. Ich stehe dann unter Stress, und ich kann nur daran denken, mir den Weg freizuräumen. So war es auch bei dieser Rosanna Scutti, und so ist es bei Gina Pescaro gewesen. Sie haben mich nicht gemocht. Gina hat mich sogar gehasst. Immer dann, wenn man mich nicht mag, kommt es hoch. Dann… dann… erscheint das Feuer. Dann wünsche ich mir, dass sie brennen, verstehst du? Sie sollen brennen!«
»Wie die Oberin?«
»Ja, auch sie. Denn sie hat mich ebenfalls nicht gemocht.«
»Aber sie hat dir nichts getan.«
Schrill lachte sie auf und bewegte sich nach hinten. Der Kahn geriet in leichte Schwankungen. »Das sagst du, aber du hast es auch nicht
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