129 - Der Vampir von Budapest
wollte uns überreden, zum Mittagessen zu bleiben, doch mich hatte das Jagdfieber gepackt, und Vladek erging es genauso. Wir hatten keinen Appetit - höchstens auf den Vampir.
Wir kannten seinen Aufenthaltsort, dieses Schloß vor dem nördlichen Stadtrand. Wenn wir uns dort gründlich umsahen, fanden wir eventuell das Versteck des Grafen, jenen Ort, an dem er tagsüber ruhte.
Sollten wir dieses Glück haben, würde es ein Kinderspiel sein, ihn zu vernichten, denn am Tage war er wehrlos.
Wir würden Lazar nicht pfählen. Vladek würde ihn mit einer einzigen Silberkugel fertig machen, das war überhaupt kein Problem. Nüchtern betrachtet, war es nicht schwer, einen Vampir auszuschalten. Es fiel uns in der Praxis aber doch immer wieder nicht, leicht, mit diesen Schwarzblütlern fertig zu werden, denn sie waren schnell, tückisch und schlau.
Wir verließen die Kornös, deren beste Wünsche uns begleiteten.
***
Iduna Tarko betrat das Intercontinental-Hotel. Sie sah nicht aus wie die typische Ungarin, eher wie ein Mädchen aus dem Norden. Man hätte sie wegen ihrer blonden Haare für eine Schwedin halten können. Ihre Gesichtsform hatte nichts Slawisches an sich, und ihre blauen Augen ließen darauf schließen, daß es in ihrer Ahnengalerie zumindest einen Germanen gegeben haben mußte oder einen Wikinger -und der schlug bei ihr durch.
Sie arbeitete als Fremdenführerin für das staatliche Reisebüro, beherrschte vier Sprachen, darunter sogar Japanisch, ohne jemals im Land der aufgehenden Sonne gewesen zu sein.
Man hatte ihre Sprachenbegabung früh erkannt und sie in staatlichen Sprachlabors ausgebildet. Das kam ihr nun zugute. Ihr Beruf machte ihr Freude.
Sie zeigte den Fremden gern ihre Heimatstadt. Manchmal übernahm sie auch den Job der Reiseleiterin und organisierte Busfahrten durch ganz Ungarn.
An diesem Freitagvormittag warteten vier Japaner im Hotel auf sie. Iduna sollte ihnen Budapest bei Tag zeigen, und es war geplant, die vier am Abend noch einmal abzuholen und ihnen das Nachtleben der Stadt zu präsentieren.
Normalerweise schäumte Idunas Temperament über, und ihre Heiterkeit und ihre Lebenslust waren ansteckend. An diesem Vormittag aber wirkte sie wie ausgewechselt.
Tibor, dem Mann an der Rezeption, fiel das sofort auf. »So ernst heute?« fragte er. »Das ist man von dir nicht gewöhnt. Bist du krank? Bedrückt dich irgend etwas?«
Iduna seufzte. »Ich mache mir große Sorgen um György.«
»Hat dein Bruder Probleme?«
»Er war gestern ziemlich lang in der Fabrik. Als er nach Hause kam, zog er sich um und ging laufen. Er will beim Marathon am kommenden Sonntag mitmachen. Und dafür trainiert er wie verrückt.«
»Er möchte immer und überall einer der Besten sein«, sagte Tibor lächelnd. »Das ist György, Ich habe ihn kürzlich gesehen. Er lief die Donau entlang. Er ist phantastisch in Form.«
»Zuviel Ehrgeiz kann auch schaden, das sage ich ihm immer wieder, aber er hört nicht auf mich. Schließlich bin ich jünger als er, und außerdem bin ich ja nur ein Mädchen. Und Mädchen haben von nichts eine Ahnung, Das ist jedenfalls seine Meinung. Als er gestern das Haus verließ, war es schon dunkel. Er ließ es sich trotzdem nicht nehmen, seine Runde zu laufen.«
»Wie ich dich kenne, wolltest du ihn davon abhalten.«
»Ich habe nicht vor, ihm das Laufen zu verbieten. Das würde ich auch nie schaffen, und ich hätte auch gar kein Recht dazu. Was mir Sorgen macht, ist, daß György nach dem Training nicht nach Hause kam. Das war bisher noch nie der Fall. Wenn er müde, verausgabt und verschwitzt ist, sehnt er sich immer nach einer Dusche.«
»Vielleicht begegnete er auf seiner Runde einem Mädchen, das ihn bei sich duschen ließ«, sagte Tibor.
»Dann hätte er mich angerufen; spätestens heute morgen. Aber… nichts. Kein Lebenszeichen von ihm. Das ist nicht normal, da stimmt irgend etwas nicht. György weiß doch, wie schnell ich mir um ihn Sorgen mache. Ich war schon bei der Polizei. Man rief sämtliche Krankenhäuser an. Es hätte ja sein können, daß György irgendwo zusammenklappte. Er wurde nirgendwo eingeliefert. Eigentlich sollte ich erleichtert sein, aber irgend etwas sagt mir, daß meinem Bruder etwas passiert ist. Ich versuche diesen schrecklichen Gedanken zu verdrängen, doch er quält mich immer wieder.«
Tibors Miene verfinsterte sich mit einemmai.
Iduna fiel es sofort auf. »Was befürchtest du?« fragte sie heiser.
Tibor erzählte ihr von Graf Lazars Auftritten. Er
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