129 - Der Vampir von Budapest
gab er seufzend auf.
»Junge, wir haben ein echtes Problem«, sagte er. »Wenn es draußen dunkel wird, wird der Vampir erwachen. Vielleicht entdeckt er uns hier unten.«
»Sobald er sich dort oben zeigt, knallst du ihn ab«, sagte ich trocken.
»Er braucht sich nicht zu beeilen«, bemerkte Vladek, »kann uns schmoren lassen. Hier unten sind wir ihm sicher. Er kann mehrere Nächte verstreichen lassen, kann in aller Ruhe darauf warten, bis wir so schwach sind, daß wir uns nicht mehr wehren können.«
»Ich glaube nicht, daß er so lange warten wird, wenn er uns entdeckt«, sagte ich. »Wenn er uns entdeckt, greift er bald an. Allein schon deshalb, weil wir uns so weit in sein Reich vorgewagt haben. Es ist außerdem damit zu rechnen, daß er uns wiedererkennt. Vor allem dich. Und da ist noch eine Rechnung offen.«
»Verflucht, Tony, Ich will hier raus«, stöhnte Vladek Rodensky.
***
Die Stunden vergingen, der Abend kam mit Riesenschritten näher. Bisher waren alle unsere Versuche, die Zisterne zu verlassen, gescheitert.
Vladek war an mir hochgeklettert, hatte sich gestreckt und den Zisternenrand zu erreichen versucht, aber es fehlte ein halber Meter, und das konnten wir einfach nicht überbrücken.
Wir machten es umgekehrt, ich stellte mich auf Vladeks Schultern, sogar auf seinen Kopf… Es nützte nichts. Wir mußten resignieren. Aber bedeutete das nicht, daß wir uns aufgaben?
Im günstigsten Fall zeigte sich dort oben der Blutgraf, und Vladek Rodensky gelang es, ihn zu vernichten. Dann »lebte« der Nichttote zwar nicht mehr, aber uns war damit nicht geholfen.
Es gab in diesem Teil des Schlosses keine Führungen, und selbst wenn Vladek alle Kugeln verballerte, würde die Schüsse niemand hören.
Das bedeutete… den Tod für uns!
Entweder wir halfen uns selbst hier raus, oder wir waren verloren - auch dann, wenn wir dem Vampir nicht zum Opfer fielen.
Wir würden verhungern!
»Herrgott noch mal, Tony, es muß eine Möglichkeit geben«, sagte Vladek Rodensky trotzig. »In wie vielen Klemmen haben wir schon gesteckt, hm? Wir schafften es immer, irgendwie rauszukommen. Ich will einfach nicht glauben, daß es uns diesmal nicht gelingt. Denk an Albina und Vicky. Sie brauchen uns. Sie rechnen damit, daß wir zurückkommen.«
Ich klopfte auch die Zisternenwände ab. Ehrlich gesagt, ich tat es nicht, mit sehr viel Hoffnung, und ich wurde auch nicht »enttäuscht«. Es gab keinen Hohlraum, keine Geheimtür, die sich öffnen ließ wie die Unterseite eines Zauberkastens.
Wir waren und blieben gefangen!
Ein Blick auf die Uhr verriet mir, daß draußen der Tag dahinschied. Es war wieder einmal soweit: Graf Lazar konnte sein Schloß gefahrlos verlassen.
Wir konnten sicher sein, daß er das auch tun würde. Niemand konnte ihn daran hindern. Am allerwenigsten wir, denn wir hatten uns selbst ins Aus manövriert.
***
Der Vampir erhob sich tatsächlich. Durch die Geheimtür verließ er sein schützendes Versteck. Er schloß sie gewissenhaft, damit niemand sie während seiner Abwesenheit entdeckte, eilte durch finstere Gänge, über Stufen und Treppen.
Er tauchte auf den Zinnen eines Turms auf, stieß sich kraftvoll ab wie ein Todesspringer in Acapulco, fiel jedoch nicht in die Tiefe, sondern flog davon, der abendlichen Stadt entgegen, die seiner harrte.
Er sah die Lichter der Autos unter sich, die wie leuchtende Perlen an einer unsichtbaren Schnur zu hängen schienen, Vor ihm spannten sich vier Brücken über die Donau. Er flog über die Margaretenbrücke und gleich darauf über das Parlament, auf dem ein roter Sowjetstern prangte.
Sein Ziel war der Bahnhof. In einer finsteren Gasse hinter dem Grand Hotel Hungaria setzte die Fledermaus lautlos auf. Der Blutgraf wuchs zu seiner stattlichen Größe hoch und überquerte den Baross tér.
Menschen gingen mit ihm durch die Unterführung. Niemandem fiel auf, daß er als einziger keinen Schatten warf und sich nicht in den Fenstern der Geschäfte spiegelte.
Über eine breite Treppe gelangte er in das Innere des Bahnhofsgebäudes. Er verzichtete darauf, sich hinter irgendeiner Maske zu verbergen.
Er betrat das Bahnhofsrestaurant und nahm an einem der Tische Platz.
Marju Szebesty sollte sein nächste Opfer sein. Er war gestern abend schon hier gewesen, mußte dann aber auf ihr Blut verzichten, weil sie von einem Mann abgeholt worden war.
Er wußte, daß sie ihn faszinierend fand und daß er es nicht schwer mit ihr haben würde. Sie war für Männer eine leichte
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