1292 - Die Blutbrücke
allein. Das Geländer befand sich an meiner rechten Seite. Ich warf immer wieder mal einen Blick in die Tiefe, schaute auf den dicht bewachsenen Uferbereich und warf auch einen ersten Blick über das mir flach erscheinende Wasser.
Das Wasser war dunkel. Es bewegte sich träge oder so gut wie gar nicht. Ein harmloser, aber recht breiter Bach.
In der Mitte der Brücke blieb ich stehen, weil ich an der rechten Seite die in das Gitter integrierten Buchstaben sah:
BLUTBRÜCKE!
Ich ließ meinen Blick über jeden einzelnen Buchstaben gleiten und schaute dann zu Boden. Es geschah nicht aus Absicht, weil ich nicht darauf hoffen konnte, etwas zu entdecken, aber ich sah trotzdem etwas und hatte auch das nötige Glück, weil an dieser Stelle kein Laub den Boden bedeckte.
Ein paar dunkle Flecken.
Misstrauen gehörte zu meinem Job. Ich bückte mich noch tiefer und schaute genauer hin. Das war kein Öl, auch wenn es im ersten Moment so aussah. Als ich den Finger dagegen tauchte, malte sich die rote Schicht an der Kuppe ab.
Wenn es Saft war, dann ein besonderer. Lebenssaft. Mit anderen Worten: Blut.
Ich musste schlucken, und meine Gedanken drehten sich. War es Zufall, dass ich hier die Blutflecken auf dem Boden sah? Ich war ein völlig Fremder, der einfach nach Baden-Baden gekommen war, um sich diese Brücke anzuschauen.
Und schon sah ich das Blut!
Hier war etwas passiert, das mir Grund zum Nachdenken gab. Mein Gefühl sagte mir, dass es richtig gewesen war, hier nach Baden-Baden zu fahren.
In einer halben Stunde würde es dämmrig werden. Dann würden sicherlich auch schon die ersten Party-Gäste eintreffen, denn für viele von ihnen fing die Halloween-Nacht bereits bei Anbruch der Dämmerung statt.
Bis dahin wollte ich nicht warten. Vor allen Dingen nicht allein. Harry Stahl hielt sich bestimmt schon in Baden-Baden auf und wartete auf meinen Anruf.
Seine Handy-Nummer hatte ich natürlich einprogrammiert und wollte sie abrufen, als etwas geschah, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Etwas Kaltes streifte über meinen Rücken hinweg.
Ich drehte mich um.
Da war nichts!
Zugleich geschah etwas vor meiner Brust. Mein Kreuz schickte mir leichte Warnsignale in Form von Wärmestößen.
Sofort war meine Lockerheit vergessen. Ich war voll konzentriert und rechnete mit einer Veränderung zum Negativen hin.
Die Kälte blieb. Sie hatte mich jetzt ganz erfasst, und ich drehte mich noch mal um, weil ich über das Geländer hinwegschauen wollte.
Da war etwas zu sehen. Buchstaben, die nicht mehr weiß, sondern blutig rot geworden waren und allmählich auseinander liefen. Von irgendwoher wallte ein Nebelberg lautlos auf mich zu, und als ich einen Schritt zurück ging, da stockte mein Atem.
Ich blickte nach unten und sah, dass ich den Boden unter den Füßen verloren hatte…
***
Harry Stahl und Heiko Fischer brauchten nur bis zur ersten Etage zu gehen. Dort schloss Heiko die Wohnungstür auf und ließ Stahl den Vortritt. »Bitte«, sagte er.
»Danke.«
Im großen Zimmer blieb Harry stehen, schaute sich kurz um und hörte, wie Heiko die Tür schloss.
Dann lehnte er sich dagegen und atmete tief durch, während er seinen neuen Bekannten anschaute.
Körperlich ging es ihm besser, im Innern allerdings bauten sich Zweifel auf, das sah Harry am Gesicht des jungen Mannes.
»Raus mit der Sprache, Heiko. Sagen Sie mir bitte, was Sie bedrückt!«
»Ich weiß es nicht so recht.«
»Trauen Sie sich nicht?«
»Auch das.«
Harry lächelte ihn an. »Sagen wir mal so, Heiko. Sie sind sich über meine Person nicht im Klaren. Stimmt's?«
»Ja, das ist es auch.« Fischer nickte. »Nichts gegen Sie persönlich. Ich bin ja froh, dass Sie mir geholfen haben, aber ich habe nun mal gelernt, so schnell keinem Menschen zu trauen, und so frage ich mich, was Sie von mir wollen. Wenn Sie auf Männer stehen, dann haben Sie Pech gehabt. Nicht mit mir.«
»Nein, nein, was denken Sie?« Jetzt musste Harry lachen. »Das ist es bestimmt nicht.«
»Was dann?«
»Ich wollte Ihnen helfen, als ich Sie auf der Brücke sah. Aber das ist nicht alles. Ich wohne in Wiesbaden und bin bewusst hier nach Baden-Baden gekommen, um mir die Brücke anzuschauen.«
»Ach. Warum das denn?«
Harry hob die Schultern. »Weil mich ein Freund aus London darum gebeten hat.«
Es war nur ein schlichter Satz gewesen. Harry hätte nie gedacht, dass er eine derartige Reaktion auslösen würde. Der junge Mann vor ihm wurde blass.
Er schüttelte den Kopf und flüsterte: »Das kann
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