1293 - Halloween-Horror
schon darüber, denn ich glaubte nicht, dass sie den Tod ihres Freundes bereits überwunden hatte.
Die Nachwirkungen würden folgen. Ich war sicher, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt noch darunter leiden würde.
Jetzt aber wirkte sie so unnatürlich stark und sie schien auch meine Gedanken erraten zu haben, denn sie fragte: »Denken Sie über mich nach, Sinclair?«
»Ja.«
»Und Sie wundern sich, dass ich nicht unter dieser Last zusammenbreche - oder?«
»Nein, aber…«
Andrea winkte barsch ab. »Lassen Sie das Suchen nach Ausreden«, flüsterte sie und verengte ihre Augen. »Das bringt nichts. Die Wahrheit hat ein anderes Gesicht.«
»Welches?«
»Es ist alles so leicht, wenn man es weiß. Alle, die hier sind, kann man als Freaks bezeichnen. Auch Chris und ich waren das. Wir haben uns schon immer für gruselige Dinge interessiert. Der Horror ging praktisch bei uns zu Hause ein und aus.«
»Aber es ist etwas anderes, ob Sie einem Hobby frönen oder in der Wirklichkeit damit in Kontakt stehen.«
»Wir ahnten es.«
»Dass es Vampire gibt?«
»Ja.«
»Und noch…«
»Sicher und noch mehr«, flüsterte sie. »Wir glaubten an die bösen Wesen, die von den meisten Menschen negiert werden. Aber wir hatten keinen Kontakt zu ihnen gefunden. Bis heute eben. Und da hat es uns mit aller Grausamkeit getroffen. Dabei haben wir uns geschworen, immer darauf vorbereitet zu sein. Doch jetzt, als es passiert ist, da waren wir es nicht. Da haben wir nicht mehr daran gedacht und das verfluche ich«, flüsterte sie, wobei ihre Stimme plötzlich zitterte. All ihr künstlich aufgebautes Selbstbewusstsein brach zusammen. Sie konnte nicht mehr und begann jämmerlich zu weinen.
Ich sah, dass sie schwankte und nach vorn fiel. Bevor sie kippen konnte, war ich da und fing sie ab. In meinen Armen blieb sie liegen, und so fand mich auch mein Freund Harry Stahl…
***
Er sagte nichts und nickte nur. Erleichterung stahl sich auch in sein Gesicht, denn es war wichtig für ihn, dass ich lebte. Diese Regung ging rasch vorbei, denn seine Augen weiteten sich, weil er sah, wen ich in den Armen hielt, und zugleich las ich in seinem Blick eine Frage.
»Einen Moment noch, Harry.«
Er verstand. Zwei Sekunden später war er verschwunden. Weit ging er nicht weg, denn ich hörte ihn sprechen, und da gab es auch Menschen, die ihm antworteten.
Erst jetzt fiel mir auf, dass die Musik nicht mehr spielte. Es war auf eine bedrückende Art und Weise still geworden. Auch die Halloween-Leute waren stiller geworden. Jetzt fiel mir auch das ferne Rauschen auf einer Straße auf.
Der große Weinkrampf war bei Andrea vorbei. Sie schluchzte nur leise. Leider hatte sie auf eine grausame Art und Weise begreifen müssen, wie weit Theorie und Praxis manchmal auseinander klaffen.
Sie und ihr Freund waren Horror-Fans gewesen, doch nun hatte das Grauen so fürchterlich zugeschlagen.
Als sie sich von mir löste und sich dabei entschuldigte, kehrte Harry wieder zurück, Angela Finkler und Jens Rückert im Schlepptau. »Ich habe den beiden gesagt, was passiert ist, und sie haben mir versprochen, sich um Andrea zu kümmern.«
»Gut.«
Andrea Merand war nicht ansprechbar. Sie stand wieder auf eigenen Beinen, und sie brauchte auch keine Stütze mehr, doch ihr Blick war ins Leere gerichtet.
Wir Männer standen etwas verlegen daneben. Die Initiative übernahm Angela Finkler. Sie ging auf Andrea Merand zu, schob ihre Hand unter den Arm der anderen Frau und sprach flüsternd mit ihr.
Andrea hörte auch zu. Sie ließ sich zur Seite führen. Als beide Frauen hinter dem Van verschwunden waren, sprach ich Harry Stahl an.
»Was ist denn passiert, John?«
»Ich zeige es dir.«
Wenig später hatte ich die Beifahrertür geöffnet. Harry trat näher und auch Jens Rückert schob sich vorsichtig heran. Er trug den Fotoapparat seiner Kollegin.
»Das ist ja Chris«, flüsterte Harry.
»Genau. Und er ist tot.«
Stahl drehte mir sein Gesicht zu. »Du weißt mehr darüber, nicht wahr?«
»Ja.« Wir traten beide zurück, und ich schlug die Tür zu. »Er ist quasi zweimal gestorben. Einmal durch Justine Cavallo und letztendlich durch mich.«
»Sie hat ihn zum Vampir gemacht?«
»Leider«, murmelte ich. »Es muss vor kurzem passiert sein. Ich kann mir vorstellen, dass sie ihn in den Wagen gelockt hat, was ja nicht schwer war, da sie das Kostüm seiner Freundin trug. Und dann hatte Chris Draber keine Chance.«
Harry nickte vor sich hin und fragte nach einer Weile mit
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