13 alte Esel
während sie gleichzeitig von Hubert eine Ohrfeige bezog.
Schwester Monika stürzte davon, ihren Verbandkasten zu holen. Don Chaussee sah Hubert an und wußte, daß er ihm den Grund für die Ohrfeige doch nicht mitteilen würde. So fragte er gar nicht erst. Als er sich Ännes Wunde ansehen wollte, fauchte sie ihn unter Wimmern an: »Sie dreckiger Leisetreter! Rühren Sie mich bloß nicht an! Lieber krepier’ ich! Mit mir machen Sie das nicht, so doofe Sprüche, und dann um den Finger wickeln !« Ihre linke Backe war knallrot, und in ihren Augen standen Tränen der Wut und des Schmerzes, aber sie biß die Zähne aufeinander, als Schwester Monika das Bein dick mit Brandsalbe bestrich und einen Verband anlegte.
Hubert kümmerte sich nicht um sie. Er goß das Wasser selbst in den Eimer. Ferdi rührte erschreckt, bis der Brei genau richtig dünn, lau und glatt geriet.
Die Aufregung um Änne hielt nicht lange vor. Sie war unbeliebt. Die anderen hatten zu oft schon unter ihrer Bosheit zu leiden gehabt und gönnten ihr im Herzen das Unglück. Hinkend ging sie dennoch mit zur Wiese. Hubert durfte sie schlagen, und daß sie auf Ferdi eifersüchtig war, zeigte ihm jedenfalls, was er selber ihr wert war. Ihr ganzer Grimm richtete sich nach wie vor auf den kleinen blonden Jungen, der ihr Hubert wegnahm.
Schwester Monika warf einen zögernden Blick auf Don Chaussee. Er schlenderte hinter den Kindern her, ohne sich nach ihr umzusehen. Da nahm sie Uwe wieder auf den Arm und ging entschlossen mit. Schließlich wollte sie gern wissen, ob Hubert den wilden Esel nach Belieben in eine Ecke treiben und sich ihm ganz einfach nähern konnte oder ob er doch biß. Er biß nicht. Er kannte sogar seine Ecke schon und zitterte nicht mehr so arg, als Hubert mit dem Marmeladeneimer nahte. Die Salbe von Dr. Kösters schien seinem Maul gut getan zu haben.
»Verduftet! Ab mit euch ins Gebüsch, sonst geht er nicht ‘ran. Und quasselt nicht so viel, so Tiere haben ‘n verdammt feines Gehör .« Hubert kommandierte mit der etwas gelangweilten Stimme eines siegverwöhnten Feldherrn, der weiß, daß seine Leute nur präzisen Befehlen gehorchen, weil sie für Erklärungen zu dusselig sind. Er hatte es als einziger fertiggebracht, den Esel kirre zu machen. Wenn sie nun zugucken wollten, sollten sie gefälligst tun, was er anordnete. Maßvoll knurrend fügten sie sich, weil sie gespannt waren, wie es weiterging.
Der Esel war im Zwielicht kaum noch zu erkennen; kaum sah man, wie die dicke, flauschige Masse des Kopfes sich mißtrauisch und zugleich begehrlich der runden glatten Masse des Marmeladeneimers näherte, immer wieder furchtsam schnaubend zurückfuhr, doch stets dem verlockenden Duft wieder nachgab. Und mit einemmal hörten sie es alle: Schlürfen und Schmatzen, immer gieriger, immer heftiger.
Don Chaussee ging ins Haus zurück, seinen Tabaksbeutel zu füllen. Lautlos über den Pfad trottend, sah er die Kinder im regennassen Gebüsch hocken, den seltsamen Tönen lauschend, ganz ineinandergekrochen, ein bißchen schuddernd im kühlen Abendwind, ganz hingegeben dem Geschehen im Wiesenzipfel. Die feinen Runzeln um seine Augen zogen sich zusammen zu einem beinahe stolzen Lächeln. Wie prachtvoll sie waren, diese Rabauken, diese schwierigen Kinder. Gestern hatten sie sich, unter den gleichen Zweigen hockend, mit Hubert mutig und gerissen gefühlt, als er den Esel erledigte. Jetzt waren sie wenige Herzschläge lang großmütig und nobel mit ihm, als er den Erledigten fütterte. Durfte man sie abschließen vom Leben, von solchem Erleben? Sie in eine harte Ordnung pressen, damit sie sich nicht zankten, prügelten, keinen Radau machten? Nein, man mußte es wagen. Man muß es immer wieder wagen, junge Menschen freizugeben, loszulassen, sich selbst zu überlassen, dachte er und fühlte erstaunt, wie ihm aus dem Zögern und Tasten der letzten Woche, aus all den bestürzenden Geschehnissen und Erkenntnissen eine ganz neue Sicherheit zuwuchs, wie er, der es doch im Leben zu nichts gebracht, der nichts gelernt und wenig geleistet hatte, plötzlich das Leben dieser fremden Kinder verstand.
Und als unterm Stopfen der Pfeife tatsächlich von der Wiese her verworrener Tumult bis in sein Zimmer drang: Leos Grölen und Franziskas leeres, schepperndes Gelächter, Ferdis Fiepen, Huberts herrische dünne Stimme und die Klageschreie der Kletten, da grinste er nur vor sich hin. Und er grinste auch Schwester Monika entgegen, die bald darauf, den schlafschweren Uwe
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