13 - Im Schatten des Grossherrn 02 - Durchs wilde Kurdistan
waren geblieben, um die gefangenen ‚Gäste‘ zu bewachen.
Wir mußten die gebrechliche Brücke wieder passieren. Drüben auf der anderen Seite des Stromes ging es wirr zu. Landesverteidiger zu Fuß und Roß ritten und liefen bunt durcheinander. Der eine hatte eine alte Flinte, der andere eine Keule. Ein jeder wollte kommandieren, aber nicht gehorchen. Dazu war das Terrain mit Felsen, Bäumen und Büschen besetzt, und bei jedem Schritt hörte man eine andere Neuigkeit von den Kurden. Zuletzt kam gar die Kunde, daß der Raïs von Schohrd mit seinen Leuten davongezogen sei, weil sich der Melek mit ihm gestritten hatte.
„Herr, was tu ich?“ fragte der Melek in nicht geringer Sorge.
„Suche zu erfahren, wo sich die Kurden befinden.“
„Das habe ich bereits getan, aber ein jeder bringt mir eine andere Kunde. Und sieh meine Leute an! Wie soll ich mit ihnen zum Kampf ziehen?“
Der Mann dauerte mich wirklich. Es war sehr leicht zu erkennen, daß er sich auf seine Leute nicht verlassen konnte. Der so lange auf ihnen lastende Druck hatte sie entmannt. Zu einem hinterlistigen Überfall hatten sie gestern den Mut gehabt; heute aber, wo es nun galt, die Folgen davon zu tragen, mangelte es ihnen an der nötigen Tatkraft. Es war nicht eine Spur von militärischer Zucht zu bemerken; sie glichen einer Herde von Schafen, welche gedankenlos den Wölfen entgegenrennen.
Auch der Melek selbst machte nicht den Eindruck eines Mannes, der die jetzt so nötige Willenskraft und Widerstandsfähigkeit besaß. Es war mehr als Sorge, es war fast Angst, die sich auf seinem Angesicht abspiegelte, und vielleicht wäre es von Nutzen für ihn gewesen, wenn Nedschir-Bey sich noch an seiner Seite befunden hätte. Es war mir sehr klar, daß die Chaldäer gegen die Berwarikurden den kürzeren ziehen würden. Daher antwortete ich auf die Klage des Melek:
„Willst du meinen Rat hören?“
„Sage mir ihn!“
„Die Kurden sind euch überlegen. Es gibt nur zwei Wege, die du jetzt einschlagen kannst. Du ziehst dich mit den Deinen schleunigst auf das andere Ufer des Flusses zurück und verteidigst den Übergang. Dadurch gewinnst du Zeit, Verstärkung an dich zu ziehen.“
„Dann aber muß ich ihnen alles opfern, was am rechten Ufer liegt.“
„Sie werden es dir ohnehin nehmen.“
„Welches ist der zweite Weg?“
„Du unterhandelst mit ihnen.“
„Durch wen?“
„Durch mich.“
„Durch dich? Chodih, willst du mir entfliehen?“
„Das fällt mir gar nicht ein, denn ich habe dir ja mein Wort gegeben.“
„Werden sich diese Kurden auf Unterhandlungen einlassen, nachdem wir sie gestern überfallen haben?“
„Ist nicht ihr Anführer dein Gefangener? Das gibt dir eine große Macht über sie.“
„Du bist ihr Gastfreund; du wirst so mit ihnen verhandeln, daß sie den Nutzen, wir aber den Schaden haben.“
„Ich bin auch dein Gastfreund; ich werde so mit ihnen reden, daß beide Teile zufrieden sein können.“
„Sie werden dich festhalten; sie werden dich nicht wieder zu mir zurückkehren lassen.“
„Ich lasse mich nicht halten. Sieh mein Pferd an! Ist es nicht zehnmal mehr wert als das deinige?“
„Fünfzigmal, nein, hundertmal mehr, Herr!“
„Glaubst du, daß ein Krieger so ein Tier im Stich läßt?“
„Niemals!“
„Nun wohl! Laß uns einstweilen tauschen! Ich lasse dir meinen Rapphengst als Pfand zurück, daß ich wiederkomme.“
„Ist dies dein Ernst?“
„Mein vollständiger. Vertraust du mir nun?“
„Ich glaube und vertraue dir. Willst du deinen Diener auch mitnehmen?“
„Nein, er wird bei dir bleiben; denn du kennst mein Pferd nicht genau. Es muß jemand bei dir sein, der den Hengst richtig zu behandeln versteht.“
„Hat es ein Geheimnis, Herr?“
„In der Tat.“
„Chodih, dann ist es für mich gefährlich, daß Roß zu reiten. Dein Diener mag es besteigen, und du nimmst das seinige, während er bei mir zurückbleibt.“
Das war es ja eben, was ich wünschte. Mein Pferd war in den Händen des kleinen Hadschi Halef Omar jedenfalls besser aufgehoben, als in denen des Melek, der nur ein gewöhnlicher Reiter war. Dann antwortete ich:
„Ich füge mich in deinen Willen. Erlaube, daß ich sofort die Tiere wechsle!“
„Sogleich, Herr?“
„Allerdings. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“
„Wirst du die Kurden wirklich finden?“
„Sie werden schon dafür sorgen, daß sie gar zu bald gefunden werden. Aber, könnten wir nicht meine beiden Vorschläge vereinigen? Wenn deine Leute mit
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