13 - Im Schatten des Grossherrn 02 - Durchs wilde Kurdistan
die Tochter von Nedschir-Bey. Sie steht da draußen und erwartet mich.“
„Geh noch vier Schritte vorwärts!“
Ich tat es und fühlte mich dann von einer Hand gefaßt, die mich seitwärts in eine Spalte zog, wo sie mich eine Strecke weiter führte.
„Jetzt warte. Ich werde das Licht anzünden.“
Einen Augenblick später brannte die Kerze, und ich sah Marah Durimeh vor mir stehen, eingehüllt in einen weiten Mantel, aus dem ihr wundersames Gesicht mir freundlich ernst entgegenblickte. Auch heut hingen ihr die schneeweißen Haarzöpfe bis beinahe zur Erde herab. Sie leuchtete mich an.
„Ja wirklich, du bist es, Emir! Ich danke dir, daß du gekommen bist. Aber du darfst keinem Menschen sagen, wer der Geist der Höhle ist!“
„Ich schweige.“
„Ist es ein Wunsch, der dich zu mir führt?“
„Ja. Aber er betrifft nicht mich, sondern die Chaldani, die einem großen Unglück entgegengehen, das nur du vielleicht von ihnen abzuwenden vermagst. Hast du Zeit, mich anzuhören?“
„Ja. Komm und setze dich.“
In der Nähe lag ein langer, schmaler Stein, der Raum genug für zwei bot. Er bildete wohl stets die Ruhebank des Höhlengeistes. Wir ließen uns nebeneinander darauf nieder, während das Licht auf einer Steinkante stand. Dann sagte die Alte mit besorgter Mine:
„Deine Worte verkünden Unheil. Rede, Herr!“
„Weißt du schon, daß der Melek von Lizan den Bey von Gumri überfallen und gefangen genommen hat?“
„Heilige Mutter Gottes, ist das wahr?“ rief sie, sichtlich im höchsten Grad erschrocken.
„Ja. Ich selbst war dabei als Gast des Bey und wurde gefangen.“
„Ich weiß nichts davon, kein Wort. Ich war während der letzten Tage drüben in Hajschad und Biridschai und bin erst heut über die Berge gekommen.“
„Nun halten die Berwari-Kurden da unten vor Lizan, um morgen den Kampf zu beginnen.“
„O ihr Toren, die ihr den Haß liebt und die Liebe haßt! Soll sich das Wasser wieder vom Blut röten und das Land vom Schein der Flammen? Erzähle, Herr, erzähle! Meine Macht ist größer, als du denkst; vielleicht ist es noch nicht zu spät.“
Ich folgte ihrem Gebot, und sie lauschte mit angehaltenem Atem meiner Darstellung. Es war, als hätte ich den Tod neben mir sitzen, und doch hing von diesem skelettartigen, geheimnisvollen Wesen vielleicht das Leben von Hunderten ab. Kein Glied ihres Körpers bewegte sich, und keine Falte ihres Mantels zitterte; aber sofort, als ich geendet hatte, fuhr sie vom Stein empor.
„Emir, noch ist es Zeit. Willst du mir helfen?“
„Gern.“
„Ich weiß, du mußt mir auch von dir erzählen, aber nicht jetzt, nicht jetzt, sondern morgen; jetzt gibt es Nötigeres zu tun. Der Geist der Höhle ist stumm gewesen; noch nie hat ihn jemand sprechen hören; heut aber wird er reden, heut muß er reden. Laß dich von Ingdscha führen, Herr, und eile hinab nach Lizan. Der Melek, der Bey vom Gumri und der Raïs von Schohrd sollen sogleich zum Ruh 'i kulyan kommen.“
„Werden sie gehorchen?“
„Sie gehorchen; sie müssen gehorchen, glaube es mir!“
„Aber der Raïs ist nicht zu finden!“
„Emir, wenn ihn niemand findet, so wirst doch du ihn finden; ich kenne dich. Auch er muß kommen, ob gleichzeitig oder ob später als die beiden andern; wenn er nur bis zum Morgen erscheint. Ich werde warten.“
„Sie werden mich fragen, von wem ich den Auftrag erhalten habe. Ich werde antworten: ‚Vom Ruh 'i kulyan‘; weiter kein Wort. Ist es so recht?“
„Ja. Sie brauchen nichts zu wissen, am allerwenigsten aber, wer der Geist der Höhle eigentlich ist.“
„Soll ich wieder mitkommen?“
„Du kannst sie begleiten, aber in die Höhle darfst du nicht mit eintreten. Was ich ihnen zu sagen habe, ist für kein anderes Ohr. Sage ihnen, sie sollen sofort in die Höhle treten und darin geradeaus fortschreiten, bis sie in einen Raum gelangen, der erleuchtet ist.“
„Kannst du es bewirken, daß ich wieder erhalte, was man mir abgenommen hat?“
„Ja; trage keine Sorge. Aber jetzt gehe; Morgen sehen wir uns wieder, und dann kannst du mit Marah Durimeh sprechen, so lange es dir gefällt!“
Ich ging und traf Ingdscha noch an demselben Platz, an dem ich sie verlassen hatte.
„Du warst lange dort, Herr“, sagte sie.
„Desto schneller müssen wir jetzt gehen.“
„Du mußt doch warten bis das Licht wieder brennt, sonst weißt du nicht, ob dir deine Bitte erfüllt wird.“
„Sie wird erfüllt.“
„Woher weißt du es?“
„Der Geist sagte
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