13 kleine Friesenmorde
so eine Type unterwegs und sammelte die Kotztüten auf. Mensch, hat das gestunken.« Er knickte die Schale des Frühstückseis an der Tischplatte auf und pulte es ab.
Jörn Taden nahm nur ein paar Schlucke Kaffee.
»Ich war mit Iris noch in der Bar!«, sagte er müde.
»Ach ja, Iris!«, lachte Warfner. »Habt ihr noch Brüderschaft getrunken?«
»Na, und ob«, antwortete Taden, »aber dann war sie plötzlich verschwunden.« Jörn blickte sich um. Seine Blicke fuhren suchend durch die voll besetzte Cafeteria. »Ich bin danach losgezogen und habe die Kabine aufgesucht. Es war gut, dass du die Tür nicht verschlossen hattest. Ich hätte den Schlüssel nicht mehr in das Schloss bekommen, so hat der Pott geschaukelt.«
Warfner lachte. »Nicht nur das Schiff hatte Seegang!«, sagte er.
Tadens Blicke liefen ständig quer. Aber sosehr er sich auch bemühte, nirgendwo machte er die Lederjacke und das aufgelöste dunkle Haar von Iris Melchior aus, und auch das blasse und eckige Fräulein Doktor befand sich nicht unter den anwesenden Passagieren.
Der Bootsmannsmaat, ein Ostfriese aus Torffehn, der gut zwei Meter maß und mehr als zwei Zentner Gewicht auf die Waage brachte, hatte seine Leute im Griff. Er war geduldig, freundlich, hart und gerecht. Nichts ließ er ungestraft, was gegen die Ordnung verstieß. Er hasste Drückebergerei. Was seine etwa 30 Leute in ihrer Freizeit trieben, interessierte ihn nicht. SeinDienstplan war routiniert, da gab es kein Oben und Unten.
Wenn die »Polar-Road Star« beladen wurde, standen die Mitarbeiter im Wechsel in leuchtenden Overalls mit dem Wildgans-Aufdruck auf dem Autodeck und wiesen mit einfachen Handbewegungen den Autofahrern die Plätze an, um sie fast auf Stoßstangenberührung Raum sparend zu dirigieren. Anderseits mussten auch alle, wenn das Wetter es zuließ, in bekleckerten Arbeitsmonturen mit Pinsel und Farbe, während die »Polar- Road Star« das Meer pflügte, die Eisenplatten mit Lack unter Schutz halten, denn Rost kann ein Schiff auffressen.
Diese Einstellung hatte er nie durchbrochen. Nur bei dem jungen Matrosen Fredo Wattnor schob er die Entscheidung vor sich her. Der stumpfe Gesichtsausdruck und der starre Blick aus dem trüben Auge hatten ihn davon abgehalten, den Jungen an Land oder auf dem Autodeck in die Rolle des Einweisers schlüpfen zu lassen oder ihn als Vorhut an die in vielen Reihen parallel geparkten Fahrzeuge zu schicken, um Tickets abzureißen und Ladepapiere zu überprüfen.
Fredo Wattnor hatte das mit Bitterkeit festgestellt. Er fühlte sich oft zurückgesetzt. Auch die Philippinenmädchen, die in großer Zahl die Kabinenreinigungen und das Küchengeschehen bestimmten, mieden ihn, wenn es gesellig zuging.
Gegen 10 Uhr klopfte der Bootsmannsmaat an die Tür der winzigen Kabine, die unterhalb des Autodecks im Heck innerhalb der Mannschaftsräume lag.
Fredo fuhr aus dem Schlaf. Ein säuerlicher Geruch umgab ihn, den er aber nicht sonderlich wahrnahm, denn er hatte bis in den Morgen Kotztüten eingesammeltund in die Müllcontainer verladen. Zum Duschen war er zu müde gewesen, und eine Zigarette vor dem Einschlafen hatte gereicht, die Luft zu aromatisieren.
Fredo sprang aus dem Bett. Da fehlte der Griff zum Bademantel. Kein Nachtzeug bedeckte den kräftigen Körper des athletischen jungen Mannes. In Unterwäsche, lange nicht gewechselt, nahm er die wenigen Schritte zur Kabinentür. Seine Hand, die eine Ledermanschette stützte, drehte den Knopf.
Der Bootsmannsmaat schaute von oben direkt auf den breitrandigen Mund, der offen ein O formte. Dann traf sein Blick das unbewegliche trübe Auge.
»Fredo, Frühstück! Es steht im Mannschaftsraum. Danach machst du weiter auf dem B-Deck. Du weißt Bescheid.«
Fredo nickte. Er zog sich an, um am großen Holztisch auf einem angeschraubten Stuhl des kargen Mannschaftsraumes mit Blick auf Poster, die eindeutig auf die schwachen Stellen männlicher Begierde zielten, sein Frühstück einzunehmen. Dort saß er stiernackig und dachte an das Mädchen, das so fröhlich mit wehenden Haaren und katzenhaften Bewegungen seine Wege in der Nacht mehrmals gekreuzt hatte, als er die Kotze der Passagiere eingesammelt hatte.
Fredo Wattnor verließ den Mannschaftsraum durch die Eisentür, die auf das unterste Deck am Heck der »Polar- Road Star« führte, das mit Tauen für die Fahrgäste abgetrennt war. Am rechten Arm hing der schwere Farbeimer, mit der linken hielt er die Leinen für die Absperrung seines
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