13 kleine Friesenmorde
Windgeschwindigkeit von 80 Kilometern die Stunde. Angesichts der Wetterlage war allerdings zu befürchten, wie Kapitän Renken sachkundig mit einem Blick in die bedrohlichen Wolkenberge feststellte, dass die »Euridike« bei einem Aufdrehen des Sturms von den sie schiebenden Wassermassen regelrecht mit dem Bug in die See gedrückt werden konnte.
Kapitän Renken, total erschöpft, schrie seine Befehle in den Wind. Er sah den Steuermann. Er stand vor dem Unterdecksteg und gestikulierte.
»Das Großsegel!«, brüllte Renken verzweifelt gegen den Wind, während der Schoner im Auf und Ab der Wellen Helgoland entgegendümpelte, noch seetüchtig mit um die Rahen fest verzurrten Segeln.
Kein Schiff befand sich in der Nähe. Auch die Männer der Seewarte Helgoland, die mit ihren Gläsern den sich eindunkelnden Horizont absuchten, erblickten die treibende »Euridike« nicht.
Am 12. März 1886 befand sich der Schoner »Anna-Johanna« auf Fahrt von London nach Cuxhaven. Der Segler war in Brake beheimatet.
Der Wind blies mit 70 km/h aus Nordwest in die voll gesetzten Segel.
Die mit 228 BRT vermessene »Anna-Johanna« war 32,50 m lang, 7,45 m breit und 3,80 m tief. Für den Einsatz in Übersee hatte der Rumpf des Schoners eine stabilisierende Metallhaut. Kapitän des Seglers war Elmrich Boomhoff aus Lütetsburg.
Der Schoner war am 12.01.1886 in Curaçao ausgelaufen und hatte am 8.03.1886 nach einer Reise von 55 Tagen ohne besondere Vorkommnisse den Zielhafen London erreicht, die Fracht gelöscht, Teekisten und seemännisch verpacktes englisches Porzellan an Bord genommen und den Proviant aufgefrischt.
Zur Besatzung der »Anna-Johanna« gehörten außer dem Kapitän und dem Steuermann vier Matrosen, zwei Leichtmatrosen, ein Schiffszimmermann und der Koch.
Die Stimmung an Bord nach der langen Reise angesichts der guten Wetterlage war ausgezeichnet und stieg mit jeder Seemeile, die das stolze Schiff in Richtung Heimathafen zurücklegte.
Am Nachmittag des 13. März passierte die »Anna-Johanna« Scharhörn. Kapitän Elmrich Boomhoff verließ seine Kajüte und begab sich auf einen kontrollierenden Rundgang. Er blickte in die frohen Gesichter der Seeleute,die sich bereits in der Nähe der Wanten aufhielten und sich auf das Einholen der Segel vorbereiteten. In einer knappen Stunde erwartete er den Lotsen an Bord.
Boomhoff begab sich zum Bug, nahm sein Fernrohr zur Hand, studierte die ihm vertrauten Seezeichen und suchte vor dem fernen Festland nach dem Lotsensegler.
In sein Blickfeld fiel ein treibendes Rettungsboot, das sich schaukelnd im Tidestrom der »Anna-Johanna« näherte. Er nahm das Glas von den Augen, rieb es mit einem Taschentuch blank und setzte es erneut vor seine Augen. Im vorbeitreibenden Boot befand sich kein ausgemergelter Schiffbrüchiger. Dennoch erweckte es seine Neugierde. Er hob die Hand, winkte dem Steuermann zu und machte ihn auf das Rettungsboot aufmerksam.
Jan Bruns änderte den Kurs. Nach zirka 20 Minuten sahen es alle, als das verlassene Rettungsboot steuerbords vorbeitrieb. Es war leer, wie sie sahen. Weder Ruder noch eine Korkweste ließen sich ausmachen. Der Anblick schockte die Männer und erinnerte sie an Gefahren, denen sie oft nur knapp entronnen waren.
Kapitän Elmrich Boomhoff sah sich nicht veranlasst, die Männer zu den Rahen zu schicken, dem Schiff die Fahrt zu nehmen, um das Rettungsboot zu bergen. Er studierte durch das Glas die schwarz aufgepinselten Großbuchstaben, suchte seine Kajüte auf, setzte sich an seinen Schreibtisch und machte eine Eintragung in das Logbuch mit entsprechenden Positionsangaben. Er war sich nicht ganz sicher bei der Abfassung des Namens des Schiffes, von dem das Boot ausgesetzt oder verloren gegangen war. »Erike? Eudike?«, fragte er sich und erinnerte sich an die Großbuchstaben: NHLG. »Neuharlingersiel«, schrieb er unter Heimathafen.
Am 2. April 1886 erinnerte eine Mitteilung des Herrn Elmrich Boomhoff, Kapitän des Schoners »Anna-Johanna«, Heimathafen Brake, der sich auf Fahrt nach Cuxhaven befand, an das schreckliche See-Unglück der »Euridike«. Nach seinen Angaben hatten er und seine Mannschaft das treibende Rettungsboot des Schoners in der Nähe von Scharhörn gesichtet. Das klang glaubhaft, entsprach allerdings nicht den Vorstellungen der Gebrüder Thomasens, die sich mit ihren erfahrenen Kapitänen berieten. Sie studierten die Seekarten, berechneten die Tideströme und Windstärken. Doch das alles ergab keinen Sinn. Weder der Kapitän
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