13 kleine Friesenmorde
Steuermann durchblätterte die Seiten. Ino Feeken, adrett gekleidet, das Haar gescheitelt, griff zum gepackten Seesack und begleitete den Steuermann zum Schiff. So geschehen unter Einhaltung aller Rechtsvorschriften«, trug Tomko Bruns, der Heuerbaas, vor, tippte mit dem Zeigefinger die weiße Asche von der Zigarre und nahm die Dokumente in die Hand.
Kommissar Koester nahm einen Schluck Tee zu sich und drückte den Zigarrenstummel in den Aschenbecher.
Im Mundwinkel des Heuerbaas saß der Stummel der Havanna.
»Weder Sie noch der Steuermann der Bark haben beim Studium des Heuerbuches des Seemannes festgestellt, dass die Unterschrift des Kapitäns der ?Euridike? zur Freigabe des Kochs in neue Dienstverhältnisse fehlte?«, fragte der Kommissar verärgert. »Ino Feeken galt bis dato als Besatzungsmitglied des versunkenen Schiffes.«
Der Heuerbaas schenkte Tee nach, hob seine breite Schultern und nickte betreten. Auch er trug, wie es im Kaiserreich zur Mode geworden war, einen gezwirbelten Schnauzbart.
»Der Junge machte einen guten Eindruck. Ich fandseinen Namen nicht in den Suchlisten der Behörden«, antwortete er kleinlaut.
»So kann man sich täuschen«, meinte der Kommissar vorwurfsvoll.
»Woher hätten wir wissen sollen, dass diesem Unschuldslamm seine Rettung aus höchster Seenot zwei unschuldige wackere Männer das Leben kostete?«, fragte Bruns, nahm den Stumpen und legte ihn in den Aschenbecher.
»Ino Feeken gehört an den Galgen! Ich werde nicht rasten und ruhen, ihn zur Strecke zu bringen«, sagte Koester erregt und erhob sich.
»Solche Irrtümer gehören zur großen Ausnahme in unserer Agentur«, antwortete Tomko Bruns. Er reichte dem Kommissar die Hand. »Feeken hatte Glück. Irgendwann und irgendwo wird es ihn erwischen. Übrigens, die ?Seven Seas? erreichte wohlbehalten Anfang Juni San Francisco.«
Koester verließ die Agentur und stieg in die wartende Kutsche. Er war enttäuscht und verärgert und zusätzlich entschlossen, die alten Bauersleute unter Druck zu setzen. Der Heuerbaas hatte Recht, Ino Feeken hatte eine Menge Glück gehabt, doch ohne die Hilfe seiner Eltern, wie er annahm, hätte der Seemann nie die Viermastbark ?Seven Seas? betreten.
Doch in Upgant-Schott stieß er auf Granit. Eine Hausdurchsuchung förderte nichts ans Tageslicht, was auf einen Besuch des gesuchten Kriminellen schließen ließ. Es gelang Alwin Koester nicht, Arnolde und Claas Feeken nachzuweisen, dass sie zur gelungenen Flucht ihres Sohnes beigetragen hatte.
Es gab zwar weitere Zeugen, denen Ino Feeken bei seinem Versuch, alles hinter sich zu lassen, begegnetwar, doch darunter befand sich niemand, der ihn in seinem Heimatdorf Upgant-Schott zu Gesicht bekommen hatte.
Die Korrespondenz der in die Staaten ausgewanderten Ostfriesen mit den Daheimgebliebenen unterlag zwar zeitlichen Schüben, fand dennoch regelmäßig zu den Adressaten. Kein Brief aus San Francisco, von Baltimore, New York oder sonst wo aus der Neuen Welt verfing sich in den von Kommissar Koester angeordneten Kontrollen. Kein Lebenszeichen von Ino Feeken gelangte über den Großen Teich. Selbst seine Brüder, die sich an Bord von Großseglern in den amerikanischen Häfen mit Fotos in ihren Händen um Auskünfte um den Verbleib ihres Bruders Ino Feeken vergeblich umsahen, gingen schließlich davon aus, dass sich Ino, dem die Polizei die unverzeihliche Bluttat anlastete, nicht mehr unter den Lebenden befand.
Dem schlossen sich auch Arnolde Feeken und ihr Mann Claas an, die ihren verschollenen Sohn in ihre Gebete einbezogen.
Alwin Koester, der es sich verbissen fast zur Lebensaufgabe gemacht hatte, den Doppelmörder zur Verantwortung zu ziehen, korrespondierte mit den amerikanischen Behörden, allerdings ohne Erfolg. Wenn er Antworten erhielt, was nur selten vorkam, dann waren sie lapidar abgefasst. Im Strudel der Einwanderungswellen war die Bürokratie mehr als überlastet.
1887 erreichte ihn eine Beförderung zum Preußischen Oberrat in der Hafenstadt Wilhelmshaven. Neue Aufgaben ließen ihn Ino Feeken vergessen.
Auch er ging davon aus, dass der Koch, woran auch immer, verstorben war.
Arnolde und Claas Feeken, die ergraut und betagt beileibe nicht hungern mussten, gottergeben in der Hofarbeit nicht nur ihre Erfüllung, sondern auch Abstand von den grüblerischen Gedanken um den Verbleib ihres Sohnes Ino suchten, traf erneut ein schwerer Schlag des Schicksals.
Auch ihr Sohn Hinni fand nicht zurück zur Kate in der Nachbarschaft der Mühle
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