13 kleine Friesenmorde
hielten an einer Ruhebank an, atmeten die frische Seeluft ein und genossen den Blick auf die Schifffahrtstraße. Marga Roitzheim schoss ein paar Fotos für die Kinder, denn zurzeit befanden sich beide Söhne im Ausland.
Anschließend setzten sie ihren Ausflug fort, radelten am Aquarium entlang über den Krischan-Wolters-Pad, bogen in die Randzelstraße ein und gelangten in die »Greune Stee«. Am Blockweg hielt Heinrich Roitzheim für seine Frau unerwartet an und stellte sein Fahrrad auf den Ständer.
Der pensionierte Oberstudienrat war gesetzt und hatte eine kräftige Figur und ein volles Gesicht. Er trug Jeans und ein Pulloverhemd. Sein Haar war voll und grau.
Auch Marga Roitzheim wirkte für ihre Jahre sportlich. Sie hatte ihr Haar nachblondiert und mit einem Band nach hinten abgebunden. Sie trug beige Jeans und wie ihr Mann ein dunkelblaues Pulloverhemd mit dem Markenzeichen von Lacoste.
»Was ist?«, fragte sie irritiert und stieg vom Fahrrad. Sie blickte ihren Mann fragend an.
»Der O-Saft nach dem Frühstück«, antwortete Heinrich Roitzheim und verzog sein Gesicht.
»Das weißt du doch. Das war schon zu deiner Schulzeit so!«, sagte seine Frau vorwurfsvoll und blickte hinter ihrem Mann her, der sich einen Weg durch die mit Gräsern, Brennnesseln und Sträuchern dichte Vegetation zu den Woldedünen bahnte.
Vögel zwitscherten im benachbarten Waldgelände. Marga schaute auf die Uhr. Es war 10.10 Uhr. Ihr Ziel war das Jachthafen-Café. Dort beabsichtigten sie, gegen Mittag eine Kutterscholle mit Salat und Petersilienkartoffeln zu essen, ein Tipp ihrer Wirtin.
Doch dazu sollte es an diesem Samstagmorgen des 15. Juni 2002 nicht kommen.
Marga Roitzheim fuhr zusammen, als sie den Aufschrei Ihres Mannes vernahm. Für Sekunden verharrte sie wie angewurzelt auf der Stelle. Es schien, als hätte für den Bruchteil von Sekunden die Welt den Atem angehalten. Ihr Herz klopfte. Sie ängstigte sich, doch dann sah sie ihren Mann, der durch den dichten, grünen Dünenvorgürtel auf die Straße hastete. Heinrich Roitzheim drehte sich wie gehetzt noch einmal um, als säße ihm der Teufel im Nacken.
Der pensionierte Oberstudienrat für Französisch und Latein atmete hastig. Sein Gesicht war kreidebleich.
»Was war?«, fragte Marga verängstigt.
Heinrich Roitzheim antwortete nicht. Er trat an sein Fahrrad, öffnete den kleinen Rucksack, den er auf dem Gepäckträger mit sich führte, nahm das Handy heraus, tippte die Vorwahl von Borkum und die Rufnummer 110 ein und horchte mit gehendem Atem, während ihm der Schweiß auf die Stirn stieg.
Brandmeister Menke Detering besprach sich im kleinen Leiterzimmer des Feuerwehrhauses auf der »Von-Freese-Straße« mit Kommissar Feen und seinen Kollegen Büscher und Grüther. Vor ihnen auf dem Tisch lag die Generalstabskarte der Insel.
»Die Zeugen Haffinger und Pechstein haben den vermissten Diplom-Ingenieur am Ende der Promenade, Ecke Süderstraße in Begleitung fragwürdiger Gestalten, die der Zeuge Haffinger ?Satanisten? nannte, gesehen. Sie gingen in Richtung Krischan-Wolters-Pad«, trug Kommissar Feen vor.
»Angenommen, was nicht auszuschließen ist, die Satanisten brachten den Diplom-Ingenieur um – über das Motiv können wir später nachdenken –, dann liegt es nahe, unser Augenmerk auf die Süddünen und die Woldedünen zu richten«, meinte der gesetzte Feuerwehrchef. Er trug seine Uniform. Der 58-jährige Getränkehändler, Sponsor vieler musikalischer Veranstaltungen, Vater eines Sohnes, der es bei den Berliner Sinfonikern als Hornist zu internationalem Ansehen gebracht hatte, lächelte ironisch. »Ein Pakt mit dem Teufel!« Er schüttelte den Kopf.
»Ich habe mich an die Kirchenleute gewandt«, sagte Kommissar Grüther. »Sowohl der katholische als auch der evangelische Seelsorger halten satanistische Vorkommnisse auf Borkum für absoluten Blödsinn.«
»Und angereiste Spinner?«, fragte sein Kollege Büscher.
»Nicht auszuschließen, dennoch nicht sonderlich ernst zu nehmen«, meinte Grüther.
»Ich habe meine Wehrleute, so weit sie abkömmlich sind, aufgefordert, um 11 Uhr hier für eine Suchaktion zu erscheinen«, sagte Menke Detering. »Ich schlage vor, wir bilden einen Kessel vom Störtebekerweg über die Greune Stee am Südstrand entlang um die Woldedünen.«
Die Beamten nickten. Das Läuten des Telefons riss sie aus den Überlegungen.
Der Feuerwehrchef nahm den Hörer von der Gabel. Büscher schaute auf die große Wanduhr. Es war 20 nach 10 Uhr.
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