13 kleine Friesenmorde
Lederschuhe. Ihr Mann Theodor war ebenfalls schlank. Sein Gesicht zierte ein breiter Schnauzbart. Er wirkte jovial mit seinem kurzen Haarschnitt und der breiten, aufgeworfenen Nase. Er trug eine Wildlederjacke.
»Wir werden erwartet«, sagte Wilma Roggendorf. »Mein Bruder hat für uns gebucht.«
»Zimmer 25. Es liegt in der Nachbarschaft Ihrer Verwandten. Soll ich Ihre Ankunft ankündigen?«, fragte sie.
»Nicht nötig«, antwortete Roggendorf und nahm den Schlüssel in Empfang. »Wir machen uns ein wenig für die Teetafel frisch.« Er nahm das Gepäck auf.
Der Angestellte erschien. »Darf ich Ihnen das Gepäck abnehmen? Ich begleite Sie zu Ihrem Zimmer«, sagte er.
»Wir haben bereits eingedeckt. Das Lotsenzimmer befindet sich auf der ersten Etage am Ende des Flurs«, sagte die Angestellte.
Der Hoteldiener führte die Gäste zum Aufzug.Am späten Nachmittag, nach der Teetafel, unternahmen die Angehörigen des Kapitäns van Loo einen ausgedehnten Spaziergang über den Deich, am Café »Ut-Kiek« vorbei zum Haus des Gastes, sahen sich dort in den großzügigen Räumen um und suchten den Strand auf. Der aufgebriste Wind blies aus südwestlicher Richtung. Juist lag wie eine eingebröckelte Mauerkante vor dem Horizont im Licht der untergehenden Sonne. An den Strand plätscherten die kleinen Wellen des auflaufenden Wassers. Auf der Liegewiese ließen Urlauber ihre Drachen steigen, die surrend im Wind hingen. Die van Loos, Roggendorfs und Schöllhorns spazierten über den Molenkamm, am Jachthafen vorbei. An den Stegen lagen noch einige Jachten kurz vor der Winterpause.
Die Männer gingen vorweg mit dem Blick auf die Silhouette der Insel Norderney. Ihre Haare waren ergraut. Sie hatten es zu bürgerlichem Wohlstand gebracht und die besten Jahre hinter sich. Sie redeten sich frei vom beruflichen Stress, sprachen von ihrer Zukunft, über ihre wohl durchdachte Altersabsicherung, über Politik, Bundesliga und Autos.
Die Frauen folgten ihnen. Ihre Unterhaltung verlief weniger gelöst. Ihre Sorgen galten den Töchtern und Söhnen. Da war die Rede von Klausuren und Prüfungen. So, als fänden sie es »niedlich«, flossen die Namen von Freundinnen und Freunden ihrer umsorgten Kinder über ihre Lippen, die fernab von zu Hause ihre ersten Liebeserfahrungen, nicht immer reibungslos, machten.
»Ludwig und ich haben uns entschlossen, Silvester auf Norderney zu verbringen. Papas Tod hat uns dazu animiert«, flötete Nanna Schöllhorn.
»Eine gute Idee. Wie wäre es, wenn wir uns anschließen würden?«, antwortete Wilma Roggendorf.
»Falls Jesko keinen Dienst hat, machen wir mit«, meinte die Schwägerin. Sie waren entzückt von der Idee und trugen sie ihren Männern vor.
»Gebongt«, sagte Jesko und erklärte sich bereit, entsprechende Schritte in die Wege zu leiten. Sie traten den Rückweg an. Die Sonne versank am Horizont und hinterließ einen herrlichen Abendhimmel. Der Wind frischte auf.
Das Hotel »Fährhaus« empfing sie mit molliger Wärme.
Jesko van Loo trat an den Tresen der Rezeption.
Die hübsche Angestellte blickte ihn fragend an. »Herr van Loo? Was kann ich für Sie tun?«, fragte sie.
»Besteht die Möglichkeit, anlässlich unserer Familienfeier in Ihrem Haus, den Tag gegen 20 Uhr im ?Lotsenzimmer? abklingen zu lassen? Ich denke an die Getränkekarte und an einen Imbiss zur späten Stunde«, trug er vor. Er wirkte weltmännisch im Mantel und seinem grauen Haar.
»Dem steht nichts im Wege. Ich werde den Ober benachrichtigen«, sagte sie und lächelte höflich.
»All up Stee«, sagte Nanna Schöllhorn, nahm ihren Mann in den Arm.
»Um 20 Uhr im Lotsenzimmer«, bestätigte Petra van Loo.
»Da bleibt Zeit, eine Klassenarbeit zu korrigieren«, frotzelte Roggendorf.
»Theodor, ich bitte dich«, sagte Wilma entsetzt.
»Schwager, wenn du möchtest, dann schreibe ich dich für eine Woche krank«, warf Dr. Schöllhorn belustigt ein.
Sie verließen die Halle und gingen auf ihre Zimmer.Am Samstagmorgen gegen 9 Uhr nach dem Frühstück zogen sie ihre Jacken und Mäntel über, verließen das Fährhaus und begaben sich mit ernsten Gesichtern in den Fischereihafen, in dem die »Pax«, ein ehemaliger umgebauter Zollkreuzer, wie Jesko van Loo fachmännisch kommentierte, am Kai vertäut lag.
Ein Fischkutter kam vom Fang zurück. Möwen schossen durch den kühlen Morgenwind. Die Luft war frisch und würzig. Der Bestatter und Eigner der Pax stand vor der Gangway am Kai. Er trug ein khakifarbenes Leinenjackett mit
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