1300 - Die Templerin
aber das war nicht der Fall. Hier herrschte die Normalität vor, und es gab auch keinen anderen Menschen außer mir in der Nähe.
Ich überlegte, wie so eine Wallfahrt ablaufen würde. Was würden die Frauen hier tun? Sich in Trance versetzen und Konstanza rufen?
Sie möglicherweise anbeten? Versuchen, etwas von ihrem Geist aufzufangen?
Wie ich es auch drehte und wendete, ich kam zu keinem Ergebnis, und ich sah auch keinen Punkt, Ort oder Zentrum, dessetwegen sich eine Wallfahrt gelohnt hätte.
Aber da musste etwas sein, davon war ich überzeugt, und so ging ich weiter. Die Mauern, die noch standen, waren doch höher, als ich angenommen hatte, was auch seinen Vorteil besaß, denn so spürte ich nicht mehr den kalten Wind an meinen Ohren.
Mein Weg führte über herumliegende Trümmer hinweg. Dabei versuchte ich, mir den Bau vorzustellen, und hielt dann an, als ich ein Zentrum erreichte. Zumindest meiner Meinung nach war es ein solches. Die Mitte des Klosters. Von einigen Mauerstücken umgeben und auf einem unebenen Boden stehend.
Früher hatte man die Klöster geplündert. Die Nonnen vergewaltigt und getötet, wenn ihnen nicht rechtzeitig die Flucht gelungen war. Hier hatte bestimmt ein Horror stattgefunden, der unglaublich grausam gewesen war. Man konnte es als eine Denkstätte ansehen, die ich mir noch gewissenhafter anschaute.
Ich ging um eine an mehreren Stellen eingerissene Mauerecke herum und hatte eigentlich damit gerechnet, wieder in das freie Gelände zu schauen. Dem war aber nicht so, denn mein Blick fiel auf einen Haufen von Steinen, die bei der Zerstörung des Klosters bestimmt nicht so gefallen waren.
Für mich stellten sie so etwas wie ein Denkmal dar. Eben das Zentrum, das ich gesucht hatte, errichtet von Menschenhand, und als ich näher heranging und mich voll darauf konzentrierte, da merkte ich, dass sich meine Haare sträubten.
Etwas war hier anders…
Eine Art Aura hatte mich erwischt. Da schien die Luft in meiner unmittelbaren Umgebung plötzlich mit Elektrizität gefüllt zu sein, und ich tastete nach meinem Kreuz.
Ich war nicht überrascht, als ich die leichte Wärme spürte, die es abstrahlte. Plötzlich wusste ich, dass ich den richtigen Ort erreicht hatte. Hier lauerte etwas. Hier gab es etwas für mich zu tun, was immer sich auch noch verbarg.
Für mich stand fest, dass die Reaktion des Kreuzes mit dem seltsamen Steinhaufen zusammenhing, der hier wie eine alte Stele stand. Ich ging davon aus, dass man die Steine nicht willkürlich aufeinander gelegt hatte, sondern irgendetwas damit erreichen wollte.
Unten waren die Steine höher und breiter. Sie verjüngten sich nach oben hin, und ich sah den kleinsten Stein auch als letzten auf diesem Haufen liegen.
Viel Fantasie musste ich nicht aufbringen, um herauszufinden, was diese Formation zu bedeuten hatte. Sie sollte einen Menschen darstellen, und in diesem Fall wahrscheinlich eine Frau, die in engem Zusammenhang mit dem Kloster gestanden hatte.
Ich ging noch näher heran. Jede Einzelheit wollte ich mir anschauen. Mein Blick war gespannt. Die verfremdete Figur stand nicht direkt auf dem Boden, sondern auf einem steinernen Rondell.
Je näher ich an das Zentrum herankam, desto mehr verdichteten sich die seltsamen Ströme in meiner Nähe. Ich hörte zwar keine Stimmen, trotzdem drangen fremde Geräusche an meine Ohren. Es war ein dumpfes Summen oder auch Singen.
Jetzt merkte ich auch, dass sich die von meinem Kreuz ausgehende Wärme auf der Brust verteilte. Alles in meiner Umgebung war normal geblieben und hatte sich trotzdem verändert.
Mein Blick fiel auf den obersten Stein.
Etwas war dort passiert. Ich sah nicht nur den Stein. Man hatte ihn verändert.
Er war bearbeitet worden. Jemand musste sich mit einem harten Gegenstand an ihm zu schaffen gemacht haben und hatte dort etwas hinterlassen.
Durch den Unterbau war die ungewöhnliche Steingestalt größer als ich. Um einen besseren Blick zu haben, kletterte ich auf die Umrandung und befand mich so auf gleicher Höhe mit dem anderen Kopf.
Und jetzt sah ich es.
Es war kein Zeichen. Es war mehr ein Gesicht im Gesicht. Und als ich dies erkannte, rann ein Schauer über meinen Rücken, denn dieses dreieckige Gesicht – schon mehr eine Fratze – war mir nicht unbekannt. Es gehörte dem Götzen der Templer, die damals den falschen Weg gegangen waren.
Baphomet!
***
Baphomet war der Dämon mit den Karfunkelaugen. Er war gewissermaßen der Baal oder das Goldene Kalb der Templer, die
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