1316 - Vampirhölle
Podium gestreift. Vanessas Platz. Sie war nicht zu sehen. Keiner spielte. Und doch lief Musik. Nur sehr gedämpft und mehr als Hintergrundklänge.
Wer nicht saß, der bewegte sich über die Tanzfläche hinweg.
Egal, ob weiblich oder männlich, die Gestalten gingen oder tanzten und alle schienen in sich selbst versunken zu sein und konzentrierten sich auf Welten, die nur sie sahen.
Trotz der Uniformität der Kleidung – da überwogen die Farben Schwarz und Dunkelrot – wirkten sie gleich. Das mochte an den Gesichtern liegen, die durch die Bank weg bleich geschminkt waren. Es gab nur wenige Gäste, die darauf verzichtet hatten.
Suko stellte sich an meine rechte Seite. »Es sieht alles so normal aus. Fast harmlos.«
»Zu harmlos.«
»Stimmt leider. Und Vanessa habe ich auch nicht gesehen.«
»Genau das ist unser Problem.«
Da konnten wir schauen und unsere Hälse recken so viel wir wollten, wir bekamen sie einfach nicht zu Gesicht. Das ärgerte mich nicht nur, es machte mich auch nachdenklich und trieb zugleich eine gewisse Furcht in mir hoch.
Wir hätten sie nicht allein lassen sollen. Einer von uns hätte hier oben in der Disco bleiben sollen. Hätte, wenn und aber zählte jetzt nicht. Für uns war wichtig, dass wir eine Spur fanden.
Ich schnappte mir einen jungen Mann, der auf mich zukam und mich nicht zu sehen schien. Bevor er gegen mich prallen konnte, drehte er sich um und hatte mich zuvor noch mit einem letzten und sehr traurigen Blick angeschaut.
Ich hielt ihn an der Schulter fest. Er verlor das Gleichgewicht und kippte mir entgegen.
»Bist du okay?«
Müde Augen schauten mich an. An den Brauen klemmten zahlreiche kleine Ringe. Er trug eine Samtjacke mit hohem Stehkragen, der wie ein dunkles Segel aussah. Seine Beine steckten in einer engen Lederhose.
»Ich schwebe«, flüsterte er uns zu. »Ich schwebe den anderen Welten entgegen.«
»Gut«, sagte ich, »wenn du schwebst, kannst du auch sehen – oder nicht?«
»Ich sehe alles.«
»Auch Vanessa?«
Diese direkte Frage irritierte ihn. Aber er hatte mich verstanden und wiederholte flüsternd den Namen der Geigerin.
Ich war ungeduldiger. »Ja, genau sie. Wo steckt Vanessa? Hast du sie gesehen?«
»Sie ist nicht mehr da.«
»Super. Das haben wir ebenfalls bemerkt. Wenn du das schon weißt, kannst du sicherlich…«
Er unterbrach mich und verdrehte dabei die Augen. »Sie ist so herrlich. Wir alle lieben ihr Spiel. Es macht uns Spaß, ihr zuzuhören. Es ist so perfekt. Sie trifft damit genau unsere Seele. Das macht uns glücklich.«
»Verstehe, mein Freund.« Ich hielt ihn noch immer fest und schüttelte ihn auch. »Aber jetzt ist Vanessa nicht mehr da, und wir suchen sie.«
»Seid ihr zwei Engel? Ihre Beschützer?«
Ich musste mir das Grinsen verbeißen. »So ähnlich«, gab ich zu.
»Wir haben uns hier auch mit ihr getroffen.«
»Sie ist gegangen!«
Zum ersten Mal hatten wir eine konkrete Antwort bekommen, wenn auch nicht konkret genug. Eine neue Nebelwolke war in das Lokal hineingedrungen und zerflatterte vor unseren Augen. Ich wischte mit der freien Hand durch die Luft und sah mein Gegenüber wieder deutlicher.
»Wann ist sie weggegangen?«
»Weiß ich nicht…«
»Allein?«
»Nein, man holte sie.« Der Gesichtsausdruck des Typs veränderte sich, als er sich erinnerte. Seine Auge erhielten Glanz, und er zog die Lippen zu einem Lächeln in die Breite. Für uns war es ein Lächeln der Freude.
»Wer hat sie geholt?«, drängte ich.
Das Lächeln verstärkte sich, und das Strahlen in den Augen nahm noch zu. Die Antwort gab er uns mit einer Stimme bekannt, als hätte er etwas Besonders gesehen oder erlebt.
»Es sind die Prinzen gewesen, die plötzlich hier erschienen sind. Sie haben sie mitgenommen, Mike und Mona. Vanessa war die Glückliche. Sie durfte mit ihnen gehen…«
Er sprach noch weiter, doch ich hörte kaum zu und hatte das Gefühl, von einer roten Wolke umkreist zu werden. Es war genau das eingetreten, was wir hatten verhindern wollen. Dass der Typ vom Keller sprach, bekam ich nur am Rande mit. Ich versuchte es mit einer Konzentration, um mich selbst wieder auf das Thema zu bringen.
»Hast du gehört, wohin sie gegangen sind?«
Ich erhielt eine völlig andere Antwort. »Die Geige haben sie mitgenommen.«
»Und weiter?«
»Vanessa wird nur für sie spielen. Die Prinzen waren so wunderbar. Sie schwebten herein und…«
»Trugen Sie ihre Gebisse?«
»Ich weiß es nicht. Ich möchte jetzt gehen. Mein Weg ist noch so
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