1316 - Vampirhölle
sie mit dem Wagen gekommen waren, wäre sie schneller vorangekommen. Da gab es keine Deckung, und genau die wollte sie haben. Sie hoffte darauf, sich irgendwann verstecken zu können, um eine günstige Gelegenheit zu einer weiteren Flucht abzuwarten, einen Bogen zu schlagen und dann in Richtung Klärwerk zu laufen.
Über ihre Chancen dachte sie lieber nicht nach. Die waren sowieso verdammt gering, aber ihre Gedanken beschäftigten sich mit den Vampiren und darüber, was sie von ihnen wusste.
Vieles strömte durch ihren Kopf. Die Gedanken liefen Zickzack, aber eine Lösung brachten sie nicht. Eines kristallisierte sich heraus.
Blutsauger waren Geschöpfe, die die Dunkelheit liebten und sich darin zurechtfanden.
Sie konnten sehen!
Genau das war schlimm, denn diese Gabe besaß Vanessa Drake nicht.
Etwas schlug gegen ihren Arm. Ein starker Ast, den sie nicht mal als Schatten gesehen hatte. Fast hätte sie geschrien. Sie hielt jedoch den Mund und duckte sich. Unter dem Astwerk lief sie her. Die Augen hatte sie weit aufgerissen.
Da gab es kein Licht. Nur den dichten, finsteren Wald mit seinem unterschiedlichen Boden, der sich mal glatt und mal wellig präsentierte.
Auch da lauerten Fallen, standen Baumwurzeln hoch, gab es Mulden und kleine Senken. Und natürlich die Dunkelheit. Wenn sie etwas Helles sehen wollte, musste sie in die Höhe schauen. Da entdeckte sie dann die Ausschnitte des Himmels als helle Flecken in einem großen Mosaik.
Eigentlich hatte sie vorgehabt, nicht zu tief in den Wald zu laufen und sich mehr an dessen Rand aufzuhalten. Ob ihr das jedoch gelungen war, wusste Vanessa nicht. Es war das eingetreten, was sie hatte vermeiden wollen.
Es gab keine Orientierung mehr für sie. Bereits nach kurzer Zeit war sie verschwunden. Sie konnte auch nicht sagen, in welche Richtung sie gelaufen war. Vanessa war Musikerin und keine Waldläuferin.
Den Kopf hielt sie gesenkt. Die Arme weiterhin halb erhoben.
Der Gesichtsschutz musste ausreichen. Das Gestrüpp zerrte an ihr.
Blätter schlugen wie weiche Zungen gegen ihren Körper.
Nie hätte Vanessa es für möglich gehalten, durch einen nachtdunklen Wald zu fliehen. Was tat der Mensch nicht alles in seiner Angst. Die Furcht nahm zwar nicht ab, aber die erste Panik hatte sich zurückgezogen. Allmählich gewann das Denken wieder die Oberhand, und Vanessa dachte darüber nach, dass sie sich nicht zu stark verausgaben durfte.
Eines hatte sie mit den Blutsaugern gemeinsam. Auch die Vampire schafften es nicht, sich lautlos zu bewegen. Sie würden ebenfalls Geräusche verursachen, und die waren in der Stille zu hören.
Als sie den Baumstamm im letzten Augenblick sah, stoppte sie ihren Lauf und stemmte sich mit beiden Händen dagegen. Erst jetzt spürte sie, wie erschöpft sie war. Sie zitterte. Das weiche Gefühl in den Knien wollte einfach nicht weichen. Am liebsten wäre sie zu Boden gesunken und erst mal liegen geblieben.
Auch das konnte sie sich nicht erlauben. Sie musste stark sein.
Ihre Chance nutzen. Nur konnte sie das nicht, wenn sie in wilde Panik verfiel.
Und so blieb sie am Stamm gelehnt stehen und atmete zunächst tief durch. Das Kratzen im Hals blieb. Das Herz schlug so schnell wie noch nie in ihrem Leben. Obwohl sie sich fest hielt, war der Schwindel da, aber sie war tapfer genug, um sich nicht fallen zu lassen, um sich dem Schicksal zu ergeben.
Wichtig war, dass sich ihr Atem beruhigte. Wenn das passierte, hatte sie auch die nötige Ruhe, um sich über die nahe Zukunft Gedanken machen zu können.
Langsam sank sie zu Boden. Der Baum besaß starke Wurzeln.
Teile von ihnen waren auch aus der Erde gedrungen und erinnerten sie an feuchte Schläuche, als ihre Hände darüber hinwegglitten.
Sich selbst an die Kandare nehmen. Warten und lauschen. Lautlos konnten sich die Geschöpfe nicht bewegen. Es sei denn, sie verwandelten sich in Fledermäuse und huschten durch die Luft.
Daran allerdings glaubte sie nicht.
Vanessa hielt die Augen geschlossen. Sie wollte sich durch nichts von ihrer Konzentration abbringen lassen.
Warten. Sich um sich selbst kümmern. Erst wenn sie einigermaßen okay war, konnte sie weitersehen.
Der Wald schwieg. Noch. Vanessa hörte ihren eigenen Atem. Den allerdings auch nicht mehr so laut. Sie schaffte es sogar, wieder durch die Nase Luft zu holen. Das Keuchen ebbte ab, und so konnte sie sich auf die große Stille konzentrieren, die gar nicht so groß war, denn der Wald um sie herum lebte.
Da waren die Geräusche.
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