1316 - Vampirhölle
Fremdartig. Geheimnisvoll, etwas unheimlich. Wispern hier, Rascheln da. Mal in ihrer Nähe, dann wieder entfernt. Es hörte sich sogar an wie ein Lachen oder Glucksen. So etwas kannte sie nicht, alles war ihr fremd. Nicht mal aus der Kindheit stiegen die Erinnerungen hoch.
Und trotzdem gehörten sie dazu. Als Vanessa das klar geworden war, ging es ihr auch etwas besser. Jetzt war sie in der Lage, sich auf das zu konzentrieren, auf das sie wartete.
Wo steckten die Blutsauger?
Bestimmt gingen sie nach einem Plan vor. Es konnte sein, dass sie versuchten, ihr Opfer in die Zange zu nehmen. Von zwei Seiten zuschlagen. Dann steckte sie in der Falle.
Deshalb drehte sie auch den Kopf. Mal nach rechts, dann wieder nach links. Zu sehen war nichts. Die Dunkelheit lag dicht wie ein Sack über dem Wald. Sie schluckte alles, was sich in der Nähe des Erdbodens befand. Nur in der Höhe war es heller. Aber auch da schimmerte nur ein schwaches und fahles Licht, denn der Schein des Mondes drang nicht bis zum Erdboden. So schwebte er oberhalb der Bäume am Himmel und wirkte dort wie ein sanfter Spiegel.
Kamen sie? Brachen sie durch ein Gebüsch? Fetzten sie sich den Weg zum Ziel frei?
Sie waren Vampire und zu ihren Eigenschaften gehörte auch, dass sie das Blut der Menschen rochen. Da waren sie verdammt sensibel. Und so kam Vanessa der Gedanke, dass es vielleicht falsch war, wenn sie hier hockte und auf etwas wartete, was sie selbst nicht kannte.
Bei ihrem Lauf durch den Wald hatte sie schlafende Vögel aufgeschreckt. Das passierte nicht mehr. Die Tiere hatten sich wieder beruhigt und waren in ihren Verstecken verschwunden.
Warum schreckten Mike und Mona keine schlafenden Vögel auf?
Waren sie tatsächlich in der Lage, sich so leise zu bewegen, dass sie die Tiere nicht störten?
Das konnte sie einfach nicht glauben, aber unmöglich war es auch nicht.
Vanessa stand auf. Jetzt, da sie die Stütze des Stamms nicht mehr an ihrem Rücken spürte, kehrte das Zittern in den Gliedern wieder zurück. Sie atmete schwer und hoffte, dass dieses Keuchen nicht zu verräterisch war.
Vanessa drehte den Kopf. Es war der vergebliche Versuch herauszufinden, woher sie gekommen war und wohin sie laufen musste. So schwer es ihr fiel, aber sie musste sich eingestehen, dass sie die Orientierung verloren hatte.
Das schwächte sie weiter. Es gab für sie keinen Anhaltspunkt. Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, aus welcher Richtung sie gekommen war und wohin sie laufen musste. Es gab einfach zu viele Möglichkeiten. Ihre Panik war zu groß gewesen.
Was tun?
Sie stand vor einem persönlichen Abgrund. Egal, was sie unternahm, es würde nie das Richtige sein. Sie kam sich hilflos vor und auch deprimiert. Gefunden worden war sie noch nicht, doch es würde nicht mehr lange dauern, obwohl sie nichts hörte.
Ihr kam der Gedanke, genau an dieser Stelle die Nacht zu verbringen und darauf zu hoffen, dass sie nicht gefunden wurde. Es würden lange, zähe Stunden werden, erfüllt von furchtbarer Angst, dass man sie trotzdem fand.
Es gab noch eine zweite Möglichkeit. Sich ein Versteck suchen.
Eine Mulde, in die sie sich eingraben konnte. Bedeckt mit Laub und Zweigen. Bei normalen Menschen als Verfolgern wäre das eine Möglichkeit gewesen. Genau das waren die Geschwister nicht mehr, denn in ihrem Zustand würden sie das Blut riechen.
Also passte das auch nicht…
So blieb es bei dem, was sie sich ursprünglich vorgenommen hatte. Auf irgendeine Art und Weise den Wald verlassen und die Straße finden. Mit viel Glück dort weiterlaufen, um dann irgendwo auf eine menschliche Behausung zu treffen, wo sie Hilfe erwarten konnte.
Nur wohin gehen?
Alles änderte sich von einer Sekunde auf die andere, denn es passierte etwas, was sie nicht für möglich gehalten hätte.
Sie hörte Musik…
Es war der Klang einer Geige. Durch ihr geschultes Gehör fand sie heraus, dass es sich genau um ihre Geige handelte, die nun von einer anderen Person gespielt wurde.
Was heißt gespielt.
Nein, das war kein Spiel. Das waren einfach nur laienhaft produzierte Töne. Wer da spielte, der hielt zum ersten Mal in seinem Leben eine Geige in der Hand.
Die Klänge taten ihren Ohren weh. Es gefiel ihr auch nicht, dass ihr Instrument derart malträtiert wurde. So verzog sie das Gesicht, als hätte sie Essig getrunken.
Es kam ihr einer Folter gleich, und das sollte es wahrscheinlich auch sein. Man wollte sie fertig machen und ihr beweisen, wer die eigentlichen Herren in diesem
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