1324 - Der Angriff
springen.
Zum ersten Mal sah sie ihn so nah und stellte fest, dass er tatsächlich so etwas wie einen Umhang trug, denn hinter ihm war es noch dunkler. Da schien die Finsternis alles gefressen zu haben, was sich ihr in den Weg gestellt hatte.
Die Augen glühten. Wahrscheinlich verbargen sie das wahre Geheimnis des Schwarzen Tods. Seine Antriebskraft, den Motor der Macht, der dafür sorgte, dass alles andere brutal aus dem Weg geräumt wurde.
Ein Vampir hat normalerweise keine Gefühle. Es sei denn die Gier nach Blut. Als normales Gefühl konnte man das kaum einordnen. Bei Justine Cavallo war es anders. Sie fühlte etwas. Liebe nicht, dafür das Gegenteil. Hass, aber auch eine Freude im negativen Sinne und auch eine Sicherheit und Arroganz. Die Freude darüber, dem Gegner überlegen zu sein oder ihm zumindest eine Niederlage beigebracht zu haben.
Das war hier der Fall.
Sie traute sich jetzt mehr. Sie wollte den Schwarzen Tod locken.
Sie musste dabei nur den Schlagbereich der verdammten Sense meiden und zusehen, dass sie an ihr vorbeikam, um dann direkt in die Nähe des Skeletts zu gelangen.
Justine vertraute voll und ganz auf ihre Kraft. Sie traute sich sogar zu, dem Monstrum einige Knochen zu brechen. Und genau darauf konzentrierte sie sich.
Unmöglich war das nicht, denn Justine war stärker und auch beweglicher als alle Menschen. In ihr steckte eine Kraft, die kaum zu fassen war, und die wollte sie einsetzen.
Justine Cavallo war eine Person der schnellen Entschlüsse. Was sie sich in den Kopf gesetzt hatte, das führte sie sofort durch, falls es möglich war.
Hier war es möglich. Hier gab es keine Hindernisse zwischen ihr und dem Gegner.
Das mächtige Skelett hatte sich noch nicht bewegt. Es stand nach wie vor an der gleichen Stelle. Die roten Augen sahen aus wie glühende Sonnenscheiben. In ihnen würde sich auch nichts verändern und Justine andeuten, dass ein Angriff bevorstand.
Sie lief los.
Und sie war schnell, verdammt schnell sogar. Das Märchen von den Siebenmeilenstiefeln schien bei ihr wahr geworden zu sein, und auch jetzt tat der Schwarze Tod nichts.
Er blieb stehen, nicht mal die Sense zuckte, und Justine sprang genau an der Stelle vom harten Boden ab, die sie sich ausgesucht hatte.
Mit beiden vorgestreckten Beinen rammte sie das Knochengestell des Monsters – und erlebte nichts.
Keine Reaktion!
Der Schwarze Tod wich nicht von der Stelle. Seine Knochen waren hart wie Granit. Dafür erlebte Justine eine Gegenreaktion, mit der sie nicht gerechnet hatte. Trotz ihrer Kraft musste auch sie den Gesetzen der Physik folgen. Es hatte den Aufprall gegeben.
Eine Sekunde danach erlebte sie den Gegenstoß.
Dass sie so weit zurückgeworfen wurde, damit hätte sie nicht gerechnet. Sie schlug mit dem Rücken auf. Ein Mensch hätte vor Schmerzen geschrien, die aber empfand Justine nicht. Sie schrie nur ihre Wut hinaus und sah plötzlich an ihrer rechten Seite das scharfe Blatt der Sense.
Und das bewegte sich!
Im Nu wurde der blonden Bestie klar, in welch einer Gefahr sie sich befand. Die mörderische Waffe würde angehoben werden, um dann zuzuschlagen. Einen derartigen Treffer verkraftete auch die Vampirin nicht.
Justine rollte sich weg. Sie war sehr schnell, und ebenso flink kam sie wieder auf die Beine.
Noch in der Bewegung sah sie, wie das Blatt der Sense hochschwang. Es war eine geschmeidige Bewegung des Schwarzen Tods, die so gar nicht zu seinem starren Körper passte.
Justine Cavallo sah ein, dass sie zu langsam gewesen war. Um etwas zu ändern, war es jetzt zu spät, denn die Waffe fegte mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit über den Boden, während der mächtige Dämon sich zugleich auf die Blutsaugerin stürzte…
***
Der Weg zu meiner Wohnung fiel mir verdammt schwer. Ich hatte den Rover in der Garage abgestellt und war diesmal nicht von einer Flugbestie angegriffen worden. Mit müden Schritten und wie mit Blei gefüllten Füßen verließ ich die Liftkabine und schritt den Flur entlang. Auf meiner Haut lag eine dünne Eisschicht. Ich konnte mich einfach nicht von dem schlimmen Bild der toten Sarah Goldwyn befreien und hatte mich auch nicht an die Tatsache gewöhnt, nie mehr mit der Horror-Oma sprechen zu können. Das alles war vorbei. Die Stimme, das Funkeln in den Augen, ihre Sorge um mich, das verschmitzte Lächeln oder die gemütlichen Stunden in ihrem Wohnzimmer, das auf so herrliche Art und Weise nostalgisch war – das alles würde es nicht mehr geben.
Vielen Gefahren hatte
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