1327 - Lady Sarahs Totenfrau
provisorisch auf das Unterteil gelegt. Wir werden ihn erst vor dem Transport richtig verschließen.«
»Das machen wir schon«, sagte ich.
Markham atmete auf. Meine Worte hatten ihn beruhigt. Er drehte noch leicht verlegen die Hände, dann zog er sich zurück.
Suko fing an zu grinsen. »Komischer Kauz ist das. Er scheint sich selbst nicht zu trauen.«
»Das sehe ich auch so.«
Ich betrat als Erster die Kammer. Es war mir schon seltsam zumute, und ich merkte auch den Druck im Magen. Auf dem Nacken lag eine dünne Gänsehaut.
Der Lichtschalter befand sich rechts, und ich betätigte ihn. Man hatte hier schon auf eine gewisse Pietät geachtet und ein entsprechendes Licht eingesetzt. Es fiel als weicher Schein nach unten und verteilte sich nicht als kaltes Licht einer Leuchtstoffröhre.
Vor uns stand der Sarg.
Meine Kehle wurde wieder eng, als ich daran dachte, wer darin lag. Sekunden verstrichen, ohne dass sich einer von uns bewegte.
Beide atmeten wir so leise wie möglich. Auch Sukos Gesicht sah aus wie aus Stein gehauen. Auch ihm hatte Sarah Goldwyn am Herzen gelegen.
Ich ließ meinen Blick über den Sarg schweifen. Er bestand aus hellem Eichenholz. Er würde lange halten und war sehr teuer gewesen. Ansonsten wirkte er schlicht und war ohne jeden Schnickschnack.
Es ist etwas anderes, ob man in einem leeren Raum steht und dort die Stille erlebt, als in einem Raum, in dem ein Sarg mit einem toten Menschen seinen Platz gefunden hat. Hier war es so. Hier hatte sich die Stille verändert. Sie war hineingekrochen und hatte für eine Veränderung der Atmosphäre gesorgt.
Andächtig war sie nicht. Irgendwie unheimlich. Kalt zudem und auch bedrückend. Schwer zu beschreiben. Es konnte aber sein, dass nur wir es so fühlten, weil wir eben eine besondere Beziehung zu der Toten gehabt hatten.
Suko machte den Anfang, indem er mit leiser Stimme vorschlug, den Sarg zu öffnen.
»Okay.«
Wir näherten uns dem Deckel. Von zwei Seiten fassten wir ihn an und gaben uns durch ein Nicken das Zeichen.
Dann hoben wir ihn an.
In diesem kurzen Zeitraum schoss mir vieles durch den Kopf. Ich vermutete alles Mögliche als Inhalt und war fast enttäuscht, aber auch beruhigt, als wir auf die tote Sarah Goldwyn schauten, die starr wie eine Puppe im Sarg lag.
Wir stellten den Deckel zur Seite und atmeten beide sichtlich erleichtert auf.
Keiner sprach ein Wort. Jeder nahm Abschied. Bei mir war es das zweite Mal. Und wieder fühlte ich mich von meinen Gefühlen übermannt. Ich presste meine Hände zu Fäusten zusammen.
Es hatte sich bei Lady Sarah nichts verändert. Auch jetzt sah sie aus wie schlafend. Die Hände und die Unterarme lagen auf ihrem Körper. Sie hatte die Hände gefaltet, als wollte sie mit einem letzten Gebet auf den Lippen ins Jenseits gehen.
Ich atmete nur durch die Nase. Kalte Schauer liefen über meinen Rücken, und endlich bewegte ich mich. Mit leisen Schritten ging ich um den Sarg, weil ich Lady Sarah genau sehen wollte.
Neben Suko hielt ich wieder an.
»Zufrieden?«, fragte mein Freund.
»Ja, das bin ich. Es hat sich nichts verändert.«
»Womit hast du gerechnet?«
Über meine Lippen drang ein leises Lachen. »Nach Janes Bericht habe ich nichts ausgeschlossen. Selbst eine Entführung der Leiche nicht.«
»John, ich bitte dich. Was hätte die andere Seite denn mit der Toten anfangen sollen?«
»Keine Ahnung. Oder schaust du tief in die Hintergründe der anderen Dimensionen hinein?«
»Nicht wirklich.«
»Okay.«
»Dann bist du beruhigt?«
»Ja.«
»Und wir können gehen.«
Diesmal kam mir die Antwort nicht so schnell über die Lippen.
Ich schwankte noch. Am liebsten hätte ich Totenwache bis zu dem Zeitpunkt gehalten, an dem der Sarg weg zum Friedhof gebracht wurde. Das war natürlich Unsinn und wäre auch überzogen reagiert, doch ich traute dem Frieden einfach nicht.
»He, was hast du?«, fragte Suko.
»Ich denke nur nach.«
Suko kannte mich gut genug und sagte: »Über eine Totenwache, nicht wahr?«
»Genau. Wie bei meinen Eltern.«
»Denkst du, dass sich hier etwas ändert?«
»Damals ist es so gewesen.«
»Aber Sarah hat keinen Kontakt zu Gestalten wie Lalibela gehabt. Daran solltest du denken.«
»Im Prinzip stimmt das, Suko. Auch von meinem Vater hätte ich das nicht für möglich gehalten. Seit wir das Bild gefunden haben, muss ich leider anders über Sarah denken. Ich kann dem Frieden nicht trauen. Das ist nun mal so.«
»Was erwartest du?«
»Wenn ich das wüsste.«
»Diese
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