1331 - Hochzeitskleid und Leichenhemd
abgesprochen.«
»Kein Rabatt?«
»Nein!«
Das eine, sehr hart gesprochene Wort hatte die Kundin erschreckt. Sie holte eine Geldbörse aus Stoff hervor und zahlte ohne ein Wort des Widerspruchs den geforderten Preis. Die beiden Hosen ließ sie sich nicht mal eintüten. Ziemlich sauer und mit steifen Schritten verließ sie das Geschäft, dessen Tür sie hart zuschlug. Das Geräusch übertönte sogar noch das Gebimmel der Türglocke.
»Geizige Zimtzicke!«, zischte die Schneiderin ihr nach. Dann schaute sie auf ihre Uhr.
Es wurde Zeit, dass sie den Laden abschloss. Normalerweise hielt sie ihn bis zum frühen Abend geöffnet, aber darauf konnte sie an diesem Tag gut und gern verzichten. Für sie gab es Dinge zu erledigen, die wichtiger waren. Sie schloss ab und zog auch das Rollo vor das kleine Fenster. Dann räumte sie die Kasse leer und versteckte einen Teil des Geldes unter einem grauen Teppich.
Erst jetzt war sie zufrieden und konnte sich um die wichtigen Dinge kümmern. Sie verließ ihren Laden durch eine schmale Seitentür und gelangte in einen Raum, der so etwas wie ein Lager war.
Auf Bügeln und Ständern hingen Kleidungsstücke, die noch bearbeitet werden mussten. Das hatte Zeit. Andere Dinge waren wichtiger.
Sie kicherte, als sie ihren Arbeitskittel auszog und eine Jacke überstreifte. Dabei warf sie einen Blick auf die aufgeschlagene Zeitung, die in der Nähe lag.
Es war so wunderbar. Fast perfekt, sie konnte sich an dem Bild gar nicht satt sehen.
»Eine schöne Leiche«, murmelte sie vor sich hin. »Ja, du bist wirklich eine schöne Tote…«
Damit meinte sie weniger die dunkelhaarige, tote junge Frau. Für sie war das Kleid wichtiger, das sie trug. Es war wieder aufgetaucht. Das hatte sie sich so gewünscht. Das hatte sie sich auch vorgestellt. Ein kleines Wunder, auf das sie so lange gewartet hatte.
Und es hatte geklappt. Allein durch ihre Initiative. Lange hatte sie gezögert, es zu tun. Letztendlich hatte sie einsehen müssen, dass es keinen anderen Weg gab, und darüber war sie sehr froh gewesen.
Sie war in dieses für sie fremde Terrain eingebrochen und hätte jetzt jubeln können, denn das Kleid hatte seine Wirkung nicht verloren. Die alten Zeiten waren nicht gelöscht worden. Die Kraft steckte noch immer in ihm.
Aber es gab auch eine andere Seite. Da war sie ehrlich genug gegen sich selbst. Sie gestand sich einen Fehler ein. Sie hätte diesen Sinclair nicht informieren sollen. Aber sie hatte es nicht abwarten können. Es hatte ihr alles zu lange gedauert. Natürlich war ihr das Kleid nicht gestohlen worden, sie selbst hatte es verkauft, aber das brauchte Sinclair nicht zu wissen. Er hatte sich nur darum kümmern sollen, es für sie zurückzuholen. Mit der heißen Nadel der Hölle war es genäht worden. Wenn ein John Sinclair dies erfuhr, dann wurde er hellhörig. Da musste er einfach so reagieren.
Es war der falsche Zeitpunkt gewesen. Das Kleid hatte von selbst reagiert und seine Kräfte ausgespielt. Und weil dies so geschehen war, ging sie davon aus, den Kontakt zur Vergangenheit hergestellt zu haben. Etwas anderes kam für sie nicht mehr in Frage.
Es gab sie noch. Es war wunderbar. Es gab die alte Kraft, die man ihr und dem Kleid zugeschrieben hatte. Das Experiment war geglückt. Auch ohne dass dieser Sinclair etwas dazugetan hatte.
Sie musste ihn loswerden. Er würde das Bild ebenfalls sehen und auch die richtigen Schlüsse ziehen. Aber ihre Angst brauchte nicht so groß zu sein, denn sie wusste, dass sie eine Helferin hatte, die sich bereits indirekt gezeigt hatte. Sie oder ihre Kraft musste dafür gesorgt haben, dass aus dem Brautkleid ein Totenhemd geworden war. Allmählich entwirrten sich die Fäden, und das hätte nicht besser für sie laufen können.
Sie wollte nicht mehr länger in ihrer kleinen Werkstatt bleiben.
Jetzt gab es wichtigere Dinge zu tun, denn hier würde nichts mehr passieren. Die Früchte konnte sie woanders ernten, und sie wartete darauf, die Vergangenheit zu sehen, wie sie es nannte.
Nicht alles war tot, was die Menschen auch für tot hielten. Vieles war nur in einen anderen Kreislauf hineingeraten. Wenn man Glück hatte, konnte man es wieder hervorholen.
Für sie stand fest, dass dieses sehr alte Braut- und Totenkleid seine Kraft nicht verloren hatte. Sonst wäre diese schöne Braut nicht gestorben.
Aber wo konnte sie das Kleid finden?
Bei der Polizei. Das wäre logisch gewesen. Trotzdem wollte sie dies nicht unterschreiben, denn die anderen Mächte
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