1341 - Die Wiege des Kretins
und das war bei Dr. Muhani auch der Fall. Bisher hatte er uns reden lassen, jetzt sah er den Zeitpunkt für gekommen, ebenfalls wieder das Wort zu ergreifen. Und er sprach dabei sehr vorsichtig.
»Ich will mich ja nicht unbedingt in Ihren Fall einmischen, meine Herren, aber könnte es nicht noch eine andere Möglichkeit geben, an die Sie bisher nicht gedacht haben?«
Ich schaute ihn an. »Welche meinen Sie?«
Er blickte zu Boden, als wäre es ihm unangenehm, darüber zu sprechen. »Es wäre doch auch möglich, dass Godwin de Salier das Krankenhaus gar nicht verlassen hat und sich noch immer in diesem Gebäudekomplex befindet.«
Ich schaute nicht ihn an, sondern Suko, und der deutete so etwas wie ein Nicken an.
»Du bist auch der Meinung?«, fragte ich.
Er hob den Kopf. »Zumindest beschäftige ich mich mit diesem Gedanken.«
»Kannst du dir auch einen Grund vorstellen?«
»Nein, John, das kann ich eben nicht. Ich selbst könnte nicht sagen, was ihn daran fesselt, hier zu bleiben. Ich an seiner Stelle hätte es nicht getan.«
»Ich auch nicht.«
Suko wandte sich mit seiner nächsten Frage an den Arzt, der noch keinen Kommentar abgegeben hatte. »Was könnte ihn daran reizen? Weshalb sollte ein Mensch wie er hier in diesem Krankenhaus bleiben? Ich kann mir keinen Grund vorstellen, denn ich denke, dass er hier in seinem Zimmer am besten aufgehoben ist.«
»Stimmt auch.« Dr. Muhani schaute zur Seite. »Es ist auch nur eine Vermutung gewesen, nicht mehr und nicht weniger. Aber wenn ich daran denke, dass er all seine Kleidungsstücke übergezogen hat, dann muss ich davon ausgehen, dass er sein Verschwinden genau geplant hat.«
Ich konnte ihm nicht widersprechen und sah auch, dass Suko nickte.
»Einen Plan«, sagte mein Partner. »Warum hat er einen Plan gehabt? Und wer könnte ihn dazu gebracht haben? Kann mir das jemand von euch sagen?«
Das konnten wir nicht.
Suko ging einige Schritte durch den Raum. Am Fenster blieb er stehen und sah zu Boden. »Ich habe es hin und her gedreht und bin zwar zu keiner Lösung gekommen, aber mir geht etwas Bestimmtes nicht aus dem Sinn.«
»Und das wäre?«, fragte ich.
»Wenn du dein Krankenbett einfach verlässt, John, tust du das nicht grundlos. So denke ich, dass das Gleiche auch bei unserem Freund Godwin passiert ist. So kann ich mir verdammt gut vorstellen, dass er aus dem Zimmer weggelockt worden ist. Jemand oder etwas muss ihn dazu gebracht haben, das Zimmer zu verlassen. So und nicht anders sehe ich das. Wenn einer von euch eine bessere Idee hat, soll er sie mir sagen.«
Dr. Muhani schwieg. Ich schwieg auch. Aber ich dachte über Sukos Theorie nach und kam zu dem Schluss, dass er damit so falsch einfach nicht liegen konnte.
Man hatte ihn aus dem Zimmer gelockt. Möglicherweise durch einen Anruf. Als ich davon sprach, meldete sich der Arzt wieder zu Wort. »Das lässt sich feststellen. Ich brauche mich nur mit der Zentrale in Verbindung zu setzen.«
»Tun Sie das bitte.« In mir war das Jagdfieber erwacht. Einen konkreten Beweis hatten wir noch nicht bekommen. Da musste ich schon meinem Gefühl nachgehen, und das sagte mir, dass wir uns auf der richtigen Spur befanden.
Ich merkte, dass es auf meiner Haut kribbelte. Der Arzt telefonierte, doch bereits nach den ersten Sätzen war uns klar, dass wir uns an einer kalten Spur festgebissen hatten. Godwin de Salier hatte während seines Aufenthalts überhaupt nicht telefoniert, und wir waren wieder dort, wo wir schon einmal gestanden hatten.
Dr. Muhani hob entschuldigend die Schultern. »Es tut mir Leid, dass ich Ihnen diese Nachricht überbringen muss. Es ist alles anders gekommen, als ich es mir vorgestellt habe.«
Da konnten wir nichts machen, aber die Vorstellung, dass er weggelockt worden war, wollte mir einfach nicht aus dem Kopf.
Ich musste es anders angehen. Weg von der normalen Schiene.
Mit mehr Fantasie. Beide Männer sprach ich an. »Gehen wir mal davon aus, dass er tatsächlich weggelockt wurde und bleiben wir dabei, dass er das Krankenhaus nicht verlassen hat. In seinem Zustand wird er ja nicht aus dem Fenster geklettert sein…«
»Die hinteren Ausgänge sind verschlossen«, sagte Dr. Muhani.
»Und die offenen werden bewacht. Ich denke da an die Zufahrt zur Notaufnahme. Außerdem sind die Gänge auch in der Nacht nie leer. Wir sind kein Sanatorium.« Er winkte mir zu. »Entschuldigen Sie, dass ich Sie unterbrochen habe, Monsieur Sinclair.«
»Das ist nicht tragisch. Ich bin Ihnen für die
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