1346 - Mallmanns Schicksal
Schwarze Tod war es nicht, davon ging der Vampir aus. Es konnte nur jemand sein, der in dieser Welt existierte, und das wollte er genau wissen.
Mallmann griff hinein. Mit seinem Oberkörper drängte er sich ebenfalls durch den Spalt. Er schaute in die Dunkelheit und entdeckte den bewegungslos dastehenden Schatten.
Das bleiche Gesicht gab ein leichtes Schimmern ab. Er hörte ein heiser klingendes Knurren, machte seinen Arm noch länger und griff mitten hinein in das Gesicht.
Unter der weichen Haut spürte er die Knochen. Spitze Zähne drückten sich gegen seine Handballen, was ihn nicht störte. Er drückte die Haut so fest zusammen wie möglich und hatte so den richtigen Griff bekommen, um sich die Gestalt zu holen.
Sie wehrte sich nicht. Mallmann zog sie zu sich heran und zerrte sie dann durch die Öffnung.
Er trat zwei Schritte zurück. Die Gestalt war jetzt frei, und Mallmann schleuderte sie zu Boden.
Es war eine Frau!
Eine Blutsaugerin, die es tatsächlich geschafft hatte, in dieser Welt zu existieren. Sie war nicht erwischt worden, lag vor ihm und wurde in dieser Stellung gehalten, denn Mallmann hatte einen Fuß auf ihren Oberkörper gedrückt.
Zu hören war nichts mehr. Kein Stöhnen, kein Knurren. Nur der Mund stand offen, und aus dem Oberkiefer ragten die beiden spitzen Vampirhauer hervor.
Mit einer matten Armbewegung wollte die Gestalt nach Mallmann greifen. Der trat die Hand locker zur Seite, nahm den Fuß vom mageren Körper weg und gab die Unperson frei.
Die Frau kam wieder hoch. Zuerst kroch sie noch auf allen vieren zur Seite. Sie brauchte einen Grabstein als Hilfe, um sich auf die mageren Beine zu stemmen.
Will Mallmann beobachtete sie aus einer gewissen Entfernung.
Nichts bewegte sich in seinem Gesicht. Seine Züge wirkten jetzt wie gemeißelt, und so sah er aus wie immer.
Die Frau besaß ein altes Gesicht. Sie war ausgemergelt. Der Unterkiefer stand schräg, als hätte er sich aus einem Gefüge gelöst. Die Augen waren nicht mehr als blasse Flecken. In ihnen war nichts zu lesen, nicht mal die Gier nach Blut.
Mallmann wusste nicht, ob dieses Geschöpf sprechen konnte, aber es würde ihn wohl verstehen.
»Du hast dich die ganze Zeit versteckt gehalten?«
Sie nickte.
»Hast du auch ihn gesehen?«
Die ausgemergelte Blutsaugerin wusste sehr gut, wer damit gemeint war. Sie duckte sich leicht zusammen und schaute dabei in die Höhe. Für Mallmann war das Antwort genug. Er lächelte. Auf irgendeine Art und Weise war er froh, eine Verbündete zu haben.
Allerdings würde sie ihm im Kampf gegen den Schwarzen Tod kaum zur Seite stehen können.
Möglicherweise indirekt.
Ihm war die Idee plötzlich gekommen. Er winkte sie zu sich heran. Zögernd trat sie auf ihn zu.
»Und jetzt«, sagte Mallmann, nachdem er sich umgeschaut hatte, »werde ich dir etwas sagen. Und ich will, dass du genau das tust, was ich dir sage. Du wirst nicht von deinem Weg abweichen und auch nicht versuchen, irgendeinen Kontakt aufzunehmen. Du wirst dich haargenau an meine Vorgaben halten. Hast du das verstanden?«
»Ja, habe ich.«
»Wie heißt du?«
»Esmeralda.«
Plötzlich konnte sie auch sprechen, und das sah Mallmann als sehr positiv an. Er sprach davon, dass sie die Chance bekommen würde, an Blut heranzukommen.
Als er das erwähnte, schrak die Unperson zusammen. So etwas wie ein Grinsen huschte über ihr Gesicht. Mallmann aber erkannte eine winzige Chance. Er sprach schnell und flüsternd auf die Gestalt ein, während er mit den Blicken immer wieder die Umgebung absuchte, weil er wissen wollte, ob der Schwarze Tod sich schon auf seine Spur gesetzt hatte.
Zum Glück war das nicht geschehen. Jubilieren konnte er trotzdem nicht. Er hoffte nur, dass dieser Plan klappte. Wenn das auch schief ging, sah Mallmann schwärzer als schwarz.
Esmeralda begriff. Sie wiederholte ihre Aufgabe in wenigen Sätzen. Mallmann war zufrieden. Über sein Gesicht huschte ein knappes Lächeln, und wenig später schickte er Esmeralda los.
Er wusste selbst, dass sein Plan auf tönernen Füßen stand. Aber anders kam er nicht weiter. Ob er dann auch einen Erfolg erzielen würde, stand ebenfalls in den Sternen. Doch auch als Vampir hatte er die Hoffnung nicht aufgegeben.
Esmeralda verschwand. Nach wenigen Schritten schon war sie in die Finsternis eingetaucht.
Zurück blieb Mallmann!
Es war wieder wie immer. Aber diesmal hatte er etwas in die Wege geleitet, und wenn er Glück hatte, würde sich seine Lage ändern. Dazu musste das
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