1349 - Lilians tödlicher Blumenzauber
dann zurückgezogen. Die Fallstricke waren gelegt worden. Es stand für sie fest, dass ihr die anderen Personen folgen würden, um sie zur Rechenschaft zu ziehen.
Genau das wollte sie. Es war ihr Spiel. Dieser Teil der Welt sollte ihr gehören, und sie würde ihren Weg weitergehen, obwohl er Opfer kosten würde.
Der Wald enthielt kein Licht. Ein Kunstwerk der Natur war er und stand mitten in dieser eisigen Gegend. Gefroren, tot, aber trotzdem lebte etwas in ihm, als Lilian ihn betrat.
Sie kannte sich aus. Sie wusste, wie und wohin sie zu gehen hatte. Jeder Baum war ihr Freund, und beim Laufen streichelte sie manchmal über die gefrorenen Äste und Zweige wie liebkosend hinweg, als wollte sie das Eis aufweichen, um Wärme in die Zweige zu lassen, damit sie wieder richtig aufblühten.
Zwischen den Bäumen hatte sich die Kälte gehalten. An manchen Stellen war sie wie eine Wand zu spüren. Altes Laub, das sich unter dem Frost gebogen hatte, knirschte unter den Schritten der geisterhaften Frau, die überhaupt nicht fror und sich in der eisigen Kälte durchaus wohl zu fühlen schien.
Kein Zittern, kein Bibbern. Sie schien gegen alle äußeren Einflüsse immun zu sein.
Lilian kannte den Wald wie ihre Westentasche. Sie suchte sich einen bestimmten Platz aus, an dem sie stehen blieb und von dem aus sie aus dem Wald hinausschauen konnte. Sie hatte sich nicht ohne Grund für eine bestimmte Richtung entschieden, denn sie wusste, was folgen würde. Eine sehr menschliche Reaktion, denn sie sah sich noch immer als Lockvogel an.
Zunächst tat sich nichts. Zwischen den Bäumen stand Lilian und schaute stur nach vorn über die Fläche hinweg, die den kalten Mondschimmer leicht widerspiegelte.
Es war im eigentlichen Sinn kein Licht, sondern nur ein Funkeln in der Kälte, auf das sie allerdings setzte, weil sie so weit blicken konnte. Um sie herum war es nur kalt, aber ihr Körper war warm.
Wenn sie mit der Hand unter das Kleid fuhr, spürte sie die nackte Haut, aber sie spürte noch mehr, denn unter der Haut, da zirkulierten die Säfte, die sie am Leben hielten. Um sie herum hatte sich in einem gewissen Kreis ein Duft gelegt, der für sie so wunderbar wie das teuerste Parfüm für manche Menschen war. Aber sie wusste zugleich, wie tödlich es sein konnte.
Und das sollte sich in dieser Nacht noch beweisen…
***
Der als Ziel anvisierte Wald rückte immer näher. Wir konnten ihn gut sehen, und auf mich wirkte er wie eine dunkle Insel in einem Eispalast.
Der Dunst war nicht verschwunden. Wer sich allerdings im Wald aufhielt, der würde die Lichter der Scheinwerfer sehen, die ebenso tanzten wie das gesamte Fahrzeug, für das auch mal Schluss war, denn es gab einen Punkt, an dem es nicht weiterging.
Maxine bremste vorsichtig auf dem vereisten Weg. Wir rutschten natürlich und glitten dabei auf den Waldrand zu.
Maxine löschte die Scheinwerfer. »Endstation«, erklärte sie.
Das war zu sehen. Ich schnallte mich los und drehte mich zu Carlotta hin um. »Du weißt, was du uns gesagt hast.«
»Ich habe es nicht vergessen.« Sie wich meinem Blick dabei aus, was mir gar nicht gefiel, aber ich sagte nichts mehr und öffnete die Tür, um nach draußen in die Eislandschaft zu steigen.
Maxine Wells folgte mir Sekunden später. Nur Carlotta blieb allein zurück. Als ich einen Blick zurückwarf, sah ich, dass sie uns zuwinkte, als wäre es ihr letzter Gruß vor einem Abschied für immer…
***
Das Vogelmädchen hatte zugestimmt, aber nichts versprochen.
Carlotta würde für eine gewisse Zeit im Wagen warten und sich dann selbst auf den Weg machen. Sie musste es tun. Der Wunsch steckte tief in ihr. Schließlich war sie von Lilian nicht nur gedemütigt worden, man hätte sie auch eiskalt erstickt, und das hatte sie nicht vergessen. Sie sah sich als eine Hauptfigur an, denn durch sie war alles erst ins Rollen gekommen.
Carlotta saß weiterhin auf dem Rücksitz des Fahrzeugs und schaute nach vorn durch die Frontscheibe. Maxine Wells und John Sinclair waren noch gut zu erkennen. Sie gingen nebeneinander her, hatten aber Probleme mit dem glatten Boden. An gewissen Stellen war es sehr rutschig, besonders dann, wenn sie über liegen gebliebene Schneereste gehen mussten. Das wurde dann mehr zu einem Schlingern.
Auch den Wald konnte sie erkennen. Nach wie vor war er eine dunkle Insel und in der Bewegungslosigkeit erstarrt. Auch zwischen den Bäumen bewegte sich nichts. Wenn sich Lilian dort tatsächlich aufhielt, hatte sie sich gut
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