1352 - Beute für den Sensenmann
eine Gänsehaut ab, und sie hatte das Gefühl, auf ihrem Sitz immer tiefer zu sinken und den Halt zu verlieren.
Die Hände legte sie wie ein kleines Mädchen im Schoß zusammen und schwieg. Sie schaute dabei ins Leere, schüttelte hin und wieder den Kopf und hing so ihren Gedanken nach.
Suko ließ sie in Ruhe. Er kümmerte sich auch nicht um die anderen Gäste. Die Einheimischen ließen den Fremden in Ruhe. Er stand an der Theke und trank sein drittes Bier. Es hatte sich auch niemand in seine Nähe gestellt. Um ihn herum gab es eine Aura, die wohl jeden Menschen davon abhielt.
Suko sah die Atmosphäre als gespannt an. Er wollte nicht von der Ruhe vor dem Sturm sprechen, war aber nicht weit davon entfernt, so zu denken. Er konnte sich vorstellen, dass bald etwas passierte.
»Wenn Sie wollen, Lilian, dann werden wir das Gasthaus hier verlassen. Das ist vielleicht besser so.«
Die rothaarige Frau schaute hoch, ohne Suko allerdings anzusehen. Sie blickte wieder nach vorn, doch sie sah nicht in Sukos Gesicht, sondern an ihm vorbei.
»Was haben Sie, Lilian?«
»Er kommt!«
»Ruhig, bitte.«
Sie verzerrte ihren Mund etwas vor dem nächsten Sprechen. »Der will wohl zu uns.«
»Dann lassen wir ihn kommen.« Suko blieb die Ruhe selbst. Gelassen drehte er sich um.
Der Bärtige hatte sich von seinem Platz an der Theke bereits gelöst und ging direkt auf den Tisch zu. Er hielte sich sehr gerade und schaute nur Lilian an, die das merkte und unter dem Blick wie frierend die Schultern hob.
»Er macht mir Angst, Suko.«
»Keine Panik. Das regeln wir.«
Danach schwieg auch der Inspektor, denn er war gespannt, was die bärtige Gestalt von ihm wollte.
Sie blieb stehen.
Suko sprach ihn sofort an. »Wer bist du? Wie lautet der Name? Oder hast du keinen?«
Suko erhielt eine Antwort, wurde dabei aber nicht angeschaut. Der Bärtige konzentrierte sich nur auf Lilian.
»Ich bin Kapitän Navarro!«
Suko hob nur seine Augenbrauen. Er konnte mit diesem Namen nichts anfangen. »Na und? Ich heiße Suko. Und jetzt will ich wissen, was du von uns hier willst.«
»Nichts von dir!«
»Aha!«
Mit einer schnellen Bewegung zog Navarro seinen Degen. Damit hatte Suko gar nicht gerechnet. Der Kapitän schwang die Waffe herum und zielte mit der Spitze gegen Lilian Dexters Gesicht.
»Ach, du willst sie?«
»Ja, ich will sie!«
***
Innerhalb der Gaststätte wurde es plötzlich sehr still. Niemand hätte genau sagen können, weshalb dies passierte. Die letzten Worte waren wohl von den wenigsten Gästen gehört worden, aber die gesamte Szene sprach schon für sich.
Da war die Spitze der Waffe nicht weit vom Hals der jungen Frau entfernt. Sie zitterte nicht mal, der Kapitän hielt sie, als wäre er damit groß geworden.
Sprechen konnte Lilian nicht. Sie hatte die Augen verdreht und schaute nach unten. Sie sah die Spitze, sie hielt den Mund offen, und sie wusste, dass er seinen Degen nur um ein kleines Stück nach vorne stoßen musste, um ihre Kehle zu treffen.
Das wusste Suko ebenfalls. Er kannte sich in Stresssituationen aus.
Sie durften jetzt nichts überstürzen und mussten vor allen Dingen die Ruhe bewahren. Jede falsche Bewegung hätte für sie tödlich enden können, und deshalb blieben sie ruhig.
Das Innere der Kneipe glich einer Bühne, auf der sich die Akteure bewegten. Wobei das Bild jetzt eingefroren war. Alle Gäste hatten zugehört und sahen nun, was da passierte, und sie waren in ihrem Schrecken gefangen.
Hinter der Theke stand Rose Dunn. Auch sie hatte alles mitbekommen. Sie zeigte sich ebenfalls geschockt. Im Gesicht war ihr offen stehender Mund zu sehen, aus dem sich weder ein Wort noch ein Schrei lösten.
Suko wusste auch, dass dieser Untote keine leere Drohung ausgesprochen hatte. Er hatte nichts zu verlieren. Er schaute nur nach vorn, und er würde seine Pläne durchziehen. Möglicherweise war es für ihn sogar etwas Normales, Frauen zu rauben.
»Was hast du mit ihr vor?«, fragte Suko nach einer Weile.
»Sie muss zu mir!«
»Nein!«, flüsterte Lilian.
Die Bewegung war nur ein Zucken, aber sie reichte völlig aus.
Plötzlich berührte die Spitze der Stichwaffe die dünne Haut an der Kehle der jungen Frau. Zum Glück blieb sie weiterhin in ihrer Erstarrung und warf sich nicht zur Seite. So drang die Klinge nicht tief in ihre Kehle ein und hinterließ nur eine rote Blutperle auf der Haut.
»Okay, du hat gewonnen, Navarro«, sagte Suko. »Ich mache dir trotzdem einen Vorschlag. Wie wäre es, wenn du mich an
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