1354 - Höllenflucht
ihn dort jemand mit einer scharfen Waffe angegriffen.
Neben ihm blieb ich stehen.
Ich fühlte nach seiner Schlagader.
Da tat sich nichts mehr.
Kein Leben steckte mehr in ihm.
Dann drehte ich ihn herum. Ich wollte sein Gesicht sehen. Der Körper rutschte mir bei meiner Bewegung weg. Er blieb aber noch in der Nische liegen, und so konnte ich sein Gesicht sehen, weil der Kopf etwas zur Seite geglitten war.
Mein Herz schlug schneller. Ich spürte rasenden Zorn in mir hochsteigen, als ich das Gesicht des Toten sah.
Es sah aus, als wäre es von unzähligen spitzen Scherben zerschnitten worden…
***
Das war wieder so ein Augenblick in meinem Leben, in dem ich am liebsten alles hingeworfen hätte. Ich merkte, dass sich die düstere Welt um mich herum drehte. Für einen Moment hatte ich den Eindruck, in einen Abgrund zu fallen, doch ich fing mich wieder und atmete scharf durch.
Wer hatte das getan?
Der Teufel? Wirklich er? Oder hatte Evelyn Ferrer nur eine Person gesehen, die sie für den Teufel hielt?
Ich würde sie fragen und hoffte, dass sie mir auch eine Antwort geben würde. Als ich zu ihr zurückging, hockte sie auf dem Boden und hatte die Knie an ihren Körper herangezogen.
»Da bin ich wieder…«
Sie reagierte kaum und summte ein Kinderlied vor sich hin. Es war recht alt, ich kannte den Text und erinnerte mich daran, dass in diesen Lied auch von einem Engel gesungen wurde.
War es Zufall? Oder dachte sie tatsächlich an einen Engel? Ich kann noch nicht dahinter und unterbrach mit meiner Frage ihrer Summerei.
»Ja, ich habe Peter gesehen. Du hattest Recht. Er ist leider gestorben.«
»Ha, ha!«, sagte sie. »Er hat zu einem Engel werden sollen. Ich habe es genau gehört. Zu einem Engel, verstehst du?«
»Richtig. Der Teufel wollte ihn zu einem Engel machen?«
»Zu einem Engel.«
»Und dich nicht?«
»Nein, ich bin zu spät gekommen. Peter und ich haben uns hier immer getroffen. Die aus dem Ort sollten nichts merkten. Peter ist verheiratet. Er war schon da. Als ich kam, sah ich den schwarzen Wagen. Keiner von uns kommt mit einem Auto. Wir fahren mit unseren Rädern, das ist so unauffällig.«
»Wo wohnt ihr denn?«
»In Grockernwell.«
Das Kaff kannte ich zwar nicht, erinnerte mich allerdings daran, den Namen gelesen zu haben.
»Du kamst also später?«
»Ja.«
»Und was hast du gesehen?«
»Dass Peter schon da war. Ich habe sein Bike gesehen. Er stellt es immer an der gleichen Stelle ab. Und dann sah ich auch den Wagen. Ich kenne ihn nicht, aber ich hatte Angst, auch weil ich Stimmen hörte und merkte, dass die Männer etwas von Peter wollten.«
»Es waren mehrere?«
»Ja, vier.«
Ich wollte jetzt nicht über das Gehörte nachdenken und fragte:
»Was ist dann passiert?«
»Sie alle waren bei ihm. Aber nur einer war der Teufel. Er sah anders aus. Die anderen hatten Krallen wie Vögel. Sie waren dunkel gekleidet. Fast wie Mönche. Und dann töteten sie ihn. Der Teufel lachte. Ich habe Peter schreien hören, aber ich traute mich nicht zu ihm hin. Ich… ich … wollte doch leben.«
Da sie nicht mehr sprach, hakte ich nach. »Und was passierte noch? Kannst du dich daran erinnern?«
»Sie schleppten ihn weg, als er tot war. Dann freuten sie sich, auch der Teufel.«
»Und den hast du genau gesehen?«
»Habe ich.«
»Wie sah er aus?«
Bei dieser Frage spürte ich meine innere Nervosität. Auf diese Antwort kam es mir wirklich an. Sie war so ungemein wichtig für mich, und so lauerte ich darauf, dass sich Evelyn erinnerte.
»Der Teufel war ein Mensch«, flüsterte sie.
»Ach.«
»Ja, ja…«, hauchte sie. Ihr Gesicht hat dabei einen starren Ausdruck bekommen.
So recht konnte ich das nicht glauben und fragte weiter. »Woher weißt du denn, dass dieser Mensch ein Teufel gewesen ist?«
»Ich habe es gesehen, als sie ihn töteten. Da hat er sich verwandelt. Da sah er ganz anders aus.«
»Und wie hat er vorher ausgesehen?«
Evelyn hob ihren rechten Arm an. Mit der Hand fuhr sie an ihrem Gesicht entlang und zeichnete das Oval nach. »Er trug einen Hut, aber er hatte das Gesicht eines Menschen. Viel habe ich nicht erkannt, weil es so schattig war. Aber dann hat er sich verändert. Sein Gesicht fing an, so komisch zu werden. So durchscheinend. Als wäre seine Haut plötzlich ganz dünn geworden. Ein breites Maul. So große Hörner und Augen, die funkelten. Böse funkelten, sodass ich Angst bekam und mich zurückgezogen habe. Ich bin erst später wieder hergekommen, als sie weg
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