1356
den vertrauten Bogenstab. Das Holz fühlte sich glatt an. «Hast du ihn gewachst?», fragte er.
«Sam hat mir sein letztes Wollfett gegeben.»
Thomas ließ seine Hand an dem Bogenstab entlanggleiten. Bei seiner verdickten Mitte, wo der Pfeil anlag, bevor er von der Sehne auf seine tödliche Reise geschickt wurde, spürte er die kleine Silberplakette mit dem eingravierten Fabeltier, das eine Schale hielt. Es war das Wappenzeichen der in Ungnade gefallenen Familie Vexille, seiner Familie. Würde ihn Gott dafür strafen, dass er den Gral ins Meer geschleudert hatte? «Du musst ja beinahe erfroren sein», sagte er.
«Ich habe meine Röcke geschürzt», sagte sie, «und die Furt ist nicht tief.» Sie setzte sich neben ihn und legte ihren Kopf an seine Schulter. Eine Zeitlang blickten sie schweigend in die Nacht. «Was geschieht morgen?», fragte sie dann.
«Es ist heute», sagte Thomas bedrückt. «Und es hängt von den Franzosen ab. Entweder nehmen sie die Bedingungen der Kirche an, oder sie beschließen, dass sie mehr gewinnen, wenn sie uns besiegen. Und wenn sie die Bedingungen annehmen, reiten wir nach Süden.» Er erzählte ihr nicht, dass sein Name auf der Liste der Männer stand, die als Geiseln ausgeliefert werden sollten. «Kümmere dich darum, dass die Pferde gesattelt sind. Keane wird dir helfen. Sie müssen vorm Hellwerden bereitstehen. Und wenn du sieben Trompetenstöße hörst, reiten wir. Und zwar schnell.»
Er spürte, dass sie nickte. «Und wenn die Trompete nicht geblasen wird?», fragte sie.
«Dann kommen die Franzosen, um uns umzubringen.»
«Wie viele sind es?»
Thomas zuckte mit den Schultern. «Sir Reginald glaubt, sie haben ungefähr zehntausend Mann. Niemand weiß es genau. Vielleicht sind es mehr, vielleicht weniger. Jedenfalls sind es viele.»
«Und wir haben?»
«Zweitausend Bogenschützen und viertausend Waffenknechte.»
Genevieve schwieg, und er nahm an, dass sie über die ungleiche Kräfteverteilung nachdachte. «Bertille betet», sagte sie.
«Ich vermute, das tun gerade eine Menge Leute.»
«Sie kniet vor dem Kreuz», sagte Genevieve.
«Dem Kreuz?»
«Hinter dem Bauernhof an der Weggabelung steht ein Wegekreuz. Sie sagt, dass sie die ganze Nacht dort um den Tod ihres Mannes beten wird. Glaubst du, dass Gott solche Gebete erhört?»
«Was glaubst du?»
«Ich glaube, dass uns Gott satthat.»
«Labrouillade wird nicht in der ersten Reihe kämpfen», sagte Thomas. «Er wird dafür sorgen, dass er andere Männer vor sich hat. Und wenn es schlecht läuft, ergibt er sich einfach. Er ist zu reich, um getötet zu werden.» Er streichelte ihr Gesicht, spürte den Lederflicken, den sie über dem verletzten Auge trug. Sie war blind auf diesem Auge, und es war milchweiß geworden. Er hatte ihr gesagt, dass es sie nicht entstellte, und das dachte er wirklich, aber sie nicht. Er zog sie eng an sich.
«Ich wünschte, du wärst auch zu reich, um getötet zu werden», sagte sie.
«Das bin ich», sagte Thomas mit einem Lächeln. «Sie könnten ein Vermögen an Lösegeld für mich herausholen, aber das werden sie nicht.»
«Der Kardinal?»
«Er will nicht vergeben und vergessen. Er will mich bei lebendigem Leib verbrennen.»
Genevieve wollte ihn ermahnen, vorsichtig zu sein, aber das wären genauso vergeudete Worte wie Bertilles Gebete am Wegekreuz. «Was, glaubst du, wird passieren?», fragte sie stattdessen.
«Ich glaube, wir werden sieben Trompetenstöße hören», sagte Thomas.
Und dann würde er nach Süden reiten, als wären ihm sämtliche Dämonen der Hölle auf den Fersen.
König Jean und zwei seiner Söhne knieten nieder, um die Hostie zu empfangen, die der Leib Christi war.
«In nomine Patris, et Filii, et Spiritus Sancti»
, intonierte der Bischof von Châlons. «Und möge Sankt Denis Euch schützen und behüten und Euch den Sieg bringen, so Gott will.»
«Amen», grummelte der König.
Prinz Charles, der Dauphin, stand auf und ging zum Fenster. Er drückte einen Fensterladen auf. «Es ist immer noch dunkel», sagte er.
«Nicht mehr lange», sagte der Lord of Douglas. «Man hört schon die ersten Vögel.»
«Lasst mich zu Prinz Edward zurückgehen», sagte Kardinal Talleyrand von einer Ecke des Raumes aus.
«Wozu?», fragte der König, der sich darüber ärgerte, dass ihn der Kardinal nicht mit Sire oder Euer Majestät ansprach.
«Um ihnen eine Waffenruhe für die ganze Zeit anzubieten, in der über die Bedingungen verhandelt wird.»
«Die Bedingungen sind klar»,
Weitere Kostenlose Bücher