1357 - Nach dem Holocaust
geworden. Von draußen drang ein eintöniges Plätschern herein. Es regnete, und ein leichter Wind drückte den Rauch in den Raum zurück. Es stank. Im Topf zischte und prasselte es.
Sue-El blickte in den Topf hinein und zuckte erschrocken zurück. Stinkende Hitze schlug ihr entgegen.
Das Wasser war verdampft, und was sich in dem Topf befunden hatte und eine gute Brühe abgeben sollte, war zu einer schwarzen Masse geworden, schwarz wie Kohle und sicher auch genauso schmackhaft.
Sie fauchte vor Wut und Enttäuschung. Dann entdeckte sie Lia-Gan, die mit einem idiotischen Gesichtsausdruck neben der Tür kauerte und die vorüberziehenden Rauchschwaden anstarrte. „Warum hast du kein Wasser nachgefüllt? „ schrie Sue-El die Kartanin an. „Warum hast du mich nicht wenigstens geweckt?"
Lia-Gan reagierte nicht.
Wütend riß Sue-El den Topf vom Feuer, wobei sie sich die Finger verbrannte. Dann ging sie hinaus, um nach Shu-Dan zu suchen und ihn ordentlich herunterzuputzen. Schließlich war er fürs Kochen zuständig.
Sue-El hatte gewiß Verständnis dafür, daß er um Ju-Mei trauerte, aber das bedeutete nicht, daß er seine Pflichten vernachlässigen durfte.
Es war Abend geworden, und es war fast dunkel. Auf der Lichtung herrschte eine trübe graue Dämmerung. Es war fast, als hingen die Wolken bis auf den Boden herab. Da, wo Shu-Dan gegraben hatte, gab es einen frischen Erdhügel. Von Shu-Dan war nichts zu sehen.
Sie rief nach ihm. Es blieb still. Selbst im Wald war es jetzt ruhig. Es schien, als hätten alle Tiere und noch draußen befindliche Kartanin gemeinsam beschlossen, diese nasse Nacht einfach zu verschlafen.
Diese Stille war ihr unheimlich. Dennoch überwand sie sich und entfernte sich ein Stück von dem Gebäude. Sie rief abermals nach Shu-Dan, aber er antwortete nicht. Ärgerlich und beunruhigt kehrte sie um. Sie suchte ihn in allen Räumen, die noch zugänglich waren, sie rief und schrie seinen Namen, und sie schimpfte und weinte vor Wut, aber sie fand ihn nicht. Schließlich aber sagte sie sich, daß irgend etwas - ob Tier oder Kartanin - ihn draußen geschnappt haben mochte.
Vielleicht war er in höchster Gefahr und brauchte Hilfe.
Sie verspürte zwar nicht die geringste Lust, seinetwegen bei Nacht und im Nieselregen in der Wildnis herumzustapfen, aber er war der einzige, der ihr helfen konnte, die Kranken zu versorgen. Sie brauchte ihn - es war das erstemal, daß sie bereit gewesen wäre, das offen zuzugeben. Sie hätte es sogar Shu-Dan-H'ay persönlich gesagt, wenn sie ihn nur gefunden hätte.
Bevor sie in die Dunkelheit hinausging, tastete sie nach der Waffe, die sie in den letzten Tagen ständig im Gürtel trug.
Die Waffe war verschwunden.
Sue-El hatte das Gefühl, daß irgend jemand langsam und beharrlich damit beschäftigt war, ihr den Boden unter den Füßen wegzuziehen.
Sie hatte die Waffe noch bei sich gehabt, als Shu-Dan mit seiner kümmerlichen Beute zurückkehrte, das wußte sie genau. Sie erinnerte sich auch daran, daß sie die Hand auf den Griff gelegt hatte, als sie Shu-Dan beim Graben beobachtete - sie war stets auf böse Überraschungen gefaßt, sobald sie nur die Nase zur Tür hinausstreckte. Und dann war sie nach drinnen gegangen und hatte dieses kümmerliche Wesen auseinandergenommen.
Hatte sie die Waffe dabei abgenommen?
Sie konnte sich nicht daran erinnern, aber es mochte wohl so gewesen sein.
Ihr wurde eiskalt, als sie an Lia-Gan-L'agyr dachte. Wenn die die Waffe gefunden und an sich genommen hatte ...
Sie kehrte um. Zuerst durchsuchte sie die Küche. Dort war die Waffe nicht. Dann suchte sie nach Lia-Gan und fand sie in einer Ecke, wo sie sich zum Schlaf zusammengerollt hatte. Lia-Gan hatte ein Lager angewiesen bekommen, wie alle anderen auch, aber sie schien es vorzuziehen, auf dem nackten Fußboden zu nächtigen.
Sue-El begann, Lia-Gan zu durchsuchen. Die Kartanin erwachte, war aber wohl noch halb im Traum, denn sie wehrte sich auf seltsam kraftlose Weise. Als Sue-El von ihr abließ, sank sie augenblicklich in ihre Schlafstellung zurück und schnaufte leise vor sich hin. Die Waffe hatte sie nicht bei sich.
Sue-El rüttelte Lia-Gan, schlug ihr ins Gesicht, zog sie hoch und schrie sie an, aber sie bekam keine Antwort auf ihre Fragen.
Schließlich gab sie es auf. Der Gedanke, daß die Waffe in den Händen der Kranken sein könnte, war unangenehm, und Shu-Dan blieb nach wie vor verschwunden. Im Schein einer provisorischen Lampe aus einer kleinen Kanne, einem
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