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136 - Im Schloss der Daa'muren

136 - Im Schloss der Daa'muren

Titel: 136 - Im Schloss der Daa'muren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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die Treppen hinunter. Zwischen den Trümmern im Hof saßen Matt und Jenny auf dem kalten Gestein und hielten einander in den Armen. Verzweifelte Eltern, die keine Hoffnung mehr hatten.
    Aruula ging an ihnen vorbei.
    »Ich weiß, wo Ann ist«, sagte sie und winkte kurz. »Folgt mir!«
    ***
    Anns Welt
    Am Anfang war es nur dunkel gewesen, und der Kopf hatte einem geschwirrt von der Aufregung und dem Schreck und der Angst. Inzwischen war Boogan mit seiner Pechfackel längst verschwunden und man hörte nichts mehr.
    Jetzt war da ein Gefühl, stark und nicht schön. Erwachsene hatten ein Wort dafür, doch das sollte eine Vierjährige nicht kennen. Hätte man Ann gefragt, dann hätte sie das Gefühl so beschrieben: »Wie wenn man aus Versehen in einen Brunnen fällt und einer macht den Deckel drauf, ohne zu merken, dass man da drin ist. Und dann geht er weg – und keiner kommt mehr«.
    Aber Ann wurde nicht gefragt, denn sie war ganz allein.
    Jemand hatte sie mit all ihren Träumen in den Brunnen geworfen und den Deckel zugemacht, und das war der Grund für dieses Gefühl mit dem Namen, den sie nicht kannte.
    Endstation.
    Boogan hatte Ann ins Burgverlies gezerrt; dunkle Treppengewölbe hinunter und enge, verwinkelte Gänge entlang. Unterwegs war Ann noch mutig gewesen und hatte ihm gedroht – mit Duu’da, und natürlich mit Dad. Aber Boogan hatte nur gelacht.
    Dann hatte er schreckliche Dinge gesagt: Dass Duu’da in Wahrheit gar kein Junge war, sondern der kleine Siil. Dass der große Siil alle Dorfbewohner getötet hatte, damit sie keinem sagen konnten, wo Duu’da wohnte. Und dass der Kleine nicht anders war. Er würde Ann nicht retten.
    »Und auf deinen Vater brauchst du auch nicht hoffen. Der hat dich längst vergessen«, hatte Boogan noch gehöhnt, als er Ann in den Käfig aus Eisenstäben stieß. Er hatte die Gittertür mit einem Strick zugebunden, ganz oben, wo man nicht dran kam. Dann war er zum Eingang gestapft. Dort war Boogan stehen geblieben. Er hatte Ann angesehen, düster und sehr ernst, und er hatte gesagt: »Wir haben dich bei uns aufgenommen, weil der große Siil es befohlen hat. Aber er wird nicht mehr lange bleiben, und das sage ich dir: Sobald er weg ist, töte ich dich!«
    Das alles war lange her – eine Ewigkeit, wie es schien.
    Ann hockte in der hintersten Ecke ihrer Zelle, mit angezogenen Beinen. Irgendwann war sie in dem Käfig auf altes Stroh getreten und hatte es wie ein Nest zusammen gescharrt. Das Stroh war faulig und stank, aber es hielt die beißende Kälte des Steinbodens ab.
    Die Wand in ihrem Rücken bestand aus rauen kantigen Quadern. Hoch oben, gleich unter der Decke, klaffte ein Loch.
    Ann hätte knapp hindurch gepasst. Man konnte das Dach des Torbogens sehen, wenn man sich auf die Zehenspitzen stellte, und ein paar Steinreihen vom Südturm. Die Abendsonne färbte sie rot.
    Ann hatte ihre Knie umschlungen und die Stirn darauf gelegt. Sie mochte nichts mehr sehen. Ihr Blondschopf schimmerte in der Dunkelheit, und von überall schimmerten unheimliche Dinge zurück – Ketten und Werkzeuge und ein aufgeklappter Eisenmann mit Nägeln an der Innenseite. An der Wand gegenüber hing sogar ein Skelett! Es war nur aus Plastik, doch das konnte Ann nicht wissen.
    Irgendwann im 21. Jahrhundert war das alte Burgverlies für Touristen nachgerüstet worden. Dabei hatte auch eine Folterkammer und der ›vergessene Tote an der Wand‹ nicht fehlen dürfen. Dass er fünfhundert Jahre später ein kleines Mädchen ängstigen würde, hatte niemand erwartet.
    Es raschelte irgendwo in der Dunkelheit, und Ann zuckte zusammen. Ich gucke nicht hin!, dachte sie. Dann sehen sie mich auch nicht!
    Sie, das waren Hunderte Bateras, die unter der Gewölbedecke hingen, ordentlich zusammengefaltet wie braune Lederpakete. Im Streiflicht von Boogans Fackel hatte Ann sie gesehen. Sie schliefen noch um diese Tageszeit, und sie bewegten sich manchmal im Traum.
    Ich möchte auch schlafen!, dachte Ann. Es war so kalt, so still und so dunkel, und man durfte sich nicht einmal wünschen, dass sich das änderte. Denn es würde bedeuten, dass Boogan zurück kam und vielleicht sein Versprechen wahr machte.
    Ann konnte sich nicht vorstellen, wie das war, getötet zu werden. Ob es wehtat, und ob es lange dauerte. Aber sie hatte schon geschlachtete Tiere gesehen und wusste, wie schrecklich das aussah. All das viele Blut. Und die Augen! Sie glänzten nicht mehr, und sie guckten immer an einem vorbei, egal von wo man sie ansah.
    Ann

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