1362 - Die Rivalin
schabte schon mit dem Rücken über den oberen Rand der Öffnung hinweg. Danach zog ich meine Beine nach innen. Ich fiel und prallte auf dem Boden des Archivs auf.
Zeit ließ ich mir nicht. Aus der hockenden Haltung hervor drehte ich mich herum. Ich hob meine Waffe und schaute wieder zum Fenster zurück.
Die Vampirin war nicht dumm. Sie hatte wohl noch zugeschaut, wie ich das Innere des Hauses erreichte, und sie wusste auch, was das für sie bedeutete.
Ich war ihr nicht nur entwischt, ich würde mich auch wehren können. Möglicherweise sagt ihr der Instinkt, dass es besser war, sich nicht mehr zum Kampf zu stellen, und so zog sich das verfluchte Wesen so rasch wie möglich zurück.
Bevor ich richtig zielen und anlegen konnte, war die Untote bereits verschwunden.
Wieder aufs Dach zu klettern, um sie zu verfolgen, ersparte ich mir. Im Archiv unter dem Dach blieb ich mit leicht zittrigen Knien stehen und holte erst einmal tief Atem. Danach schloss ich das Kippfenster und ging davon aus, dass die unbekannte Blutsaugerin uns so schnell nicht mehr besuchen würde.
Aber wer war sie? Warum war sie überhaupt gekommen?
Diese Fragen würde mir nur Jane Collins beantworten können…
***
Die Detektivin fand ich in der Küche. Vor das zerstörte Fenster hatte sie das Rollo gezogen. Jane selbst saß auf einen Stuhl, hielt ein Glas Wasser in der Hand und trank in kleinen Schlucken. Ihr Blick war ins Leere gerichtet, ändert sich aber, als ich in der offenen Tür erschien und ihr zunickte.
Jane stellte das Glas zur Seite. Sie sah noch immer bleich und mitgenommen aus, aber sie lächelte jetzt, bevor sie sagte: »Ich habe zwei Tabletten gegen die Kopfschmerzen genommen. Sie wollten einfach nicht verschwinden.«
»Aber es waren keine normalen Kopfschmerzen.«
»Stimmt.«
»Und wie ist es dazu kommen?«
Jane zuckte mit den Schultern. »Das ist eine seltsame Geschichte, John. Sehr seltsam…«
»Ich höre gern zu.«
»Aber nicht hier. Lass uns in Sarahs Zimmer gehen.«
Ich war einverstanden. Aus dem Kühlschrank holte ich eine Flasche Wasser und nahm auch zwei Gläser mit. Dann verließen wir die Küche. Jane Collins ging neben mir her. Sie hatte sich bei mir eingehakt, denn ihre Füße waren noch immer etwas schwer. An ihrer Stirn entdeckte ich die Beule. Jane hatte das wohl bemerkt und erklärte mir, dass sie die Beule der Tür verdankte.
»Ich war eben zu unvorsichtig, John. Das habe ich dann bereuen müssen.«
Wenig später saß sie in Sarahs ehemaligem Sessel. Ich hatte uns beiden Gläser mit Mineralwasser gefüllt und schaute zu, wie Jane langsam trank. Ihr Blick war dabei sehr nachdenklich geworden.
Zudem zeigte sich ein Muster aus Hautfalten auf ihrer Stirn.
Ich wollte sie nicht drängen. Sie selbst musste wissen, wann sie mit ihrer Erklärung begann. Es war genau der Zeitpunkt, als sie das Glas zur Seite stellte. Sie lachte leise und atmete scharf aus. »Ich hätte nie gedacht, dass mir so etwas passieren könnte, John, aber man hat mich tatsächlich reingelegt. Die Frau kam hier an, sie klingelte, ich öffnete, und dann ging alles blitzschnell…«
In der nächsten Zeit erfuhr ich in allen Einzelheiten, wie es Jane Collins ergangen war. Man hatte sie wirklich überrascht, und sie wäre ihr Blut losgeworden, hätte mich das Schicksal nicht zu ihr geführt.
»Jetzt haben wir beide gewonnen und verloren«, erklärte sie zum Schluss.
»Stimmt.« Ich senkte den Blick und schaute zu Boden. »Diese Camilla wollte also zu Justine Cavallo.«
»Ja.«
»Aber sie war alles andere als eine Freundin oder Verbündete von ihr?«
»So muss man das sehen, John. Ich denke da mehr an eine Rivalin.«
Ich hob den Blick wieder an. »Rivalin«, murmelte ich. »Warum Rivalin? Aus welcher Zeit? Woher ist sie gekommen?«
»Das weiß ich nicht. Jedenfalls habe ich herausgehört, dass sie sehr alt sein muss. Älter als wir Menschen normalerweise werden.«
»Sie kannte Justine«, murmelte ich. »Sie war jemand aus ihrer Vergangenheit. Was mich zu der Erkenntnis gelangen lässt, dass wir überhaupt nichts wissen, was Justines Vergangenheit angeht. Sie war da, aber wir wissen nicht, welches Schicksal sie gehabt hat. Oder hast sie danach gefragt?«
»Ha, wo denkst du hin? Obwohl sie hier lebt, bin ich nicht vertraut mit ihr. Wenn möglich gehen wir uns aus dem Weg. Ich kann nicht sagen, dass sie ihr eigenes Leben lebt, so etwas trifft ja nicht zu, aber wir sind auch nicht eben befreundet. Wenn sie verschwindet, so wie heute,
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