1365 - Die Astrologen von Hangay
Der Benguel knurrte und keifte Rhodan mit gebleckten Zähnen drohend an. Er wand sich unter seinem Griff wie eine Schlange, schlug mit den Fäusten auf Rhodans Hand ein, kratzte ihn und zerrte verzweifelt an den Fingern. „Nichts zu machen, mein Freund", keuchte Rhodan und versuchte, den Benguel mit der zweiten Hand zu fassen zu kriegen. „Ich werde dich nicht in den Tod springen lassen."
Da bäumte der Benguel seinen Körper auf, schnappte mit seinen langen Zähnen nach Rhodans Hand und biß zu. Rhodan ließ vor Schmerz los, die Hand blutete. Der Benguel torkelte zur Außenwand und trommelte mit den Fäusten so lange dagegen, bis ein Riß entstand. Er stieß mit dem Kopf hindurch, zog die Arme nach, und indem er sich am unteren Rahmen festhielt, zog er sich ins Freie.
Rhodan lief zum nächsten Fenster, klappte es auf.
Er sah den Benguel behende über die Mauerrahmen in die Tiefe klettern und in der Menge verschwinden.
Rhodan wandte sich nach Eserfim um. „Was war mit dem denn los?" fragte er. „Nichts weiter", sagte Eserfim unbeeindruckt. „Er wird nicht lange umherirren. Die Garde wird sich um ihn kümmern und ihn in Gewahrsam nehmen. Es ist alles in Ordnung, Perry."
„Das kann ich nicht glauben", sagte Rhodan. „Keine Ausflüchte, Eserfim. Ich möchte wissen, was in den Benguel gefahren ist, daß er sich wie ein Irrer aufgeführt hat. Was ist mit ihm geschehen? Wenn du es weißt, mußt du es mir sagen, Eserfim. Du tust ja geradeso, als gehörten Amokläufer zum Alltag."
„Eserfim erklärt es dir", sagte der Benguel. „Kein Amokläufer, aber Alltag, ja, passiert jeden Tag, überall in Cuyapo. Kein Irrer, nichts ist in ihn gefahren, sondern ausgefahren. Sein Ich hat ihn verlassen. Er hat einen Geist-Bruch erlitten. Ist keiner mehr von uns. Aber sorge dich nicht um ihn, Perry. Er wird frei und glücklich sein. Und er wird wiedergeboren. Ein ganz natürlicher Vorgang. Du brauchst nicht weiter darüber nachzudenken."
„So, meinst du?" sagte Rhodan, den die unerschütterliche Ruhe Eserfims aufregte. „Ich will dir ja deinen Glauben an Reinkarnation nicht rauben, Eserfim. Aber ihr Benguel macht es euch zu einfach, wenn einer von euch den Verstand verliert, es damit zu erklären, daß seine Persönlichkeit in einen anderen Körper übergewechselt ist. Das ist Selbstbetrug. Aber wozu rege ich mich auf. Genausogut könnte ich zu einer Papierwand reden. Euer ganzes Leben ist ja Selbsttäuschung, das fängt bei der Astrologie an und ..."
„Aber so ist es wirklich, Perry", fiel ihm Eserfim ins Wort. „Eserfim weiß, wovon er redet. Ich belüge dich nicht. Und lästere bitte nicht über unsere Astrologie. Du verstehst sie nur nicht. Aber wir Benguel wissen, daß in ihr alle Weisheiten unseres Volkes enthalten sind. Sie ist unser Lebensinhalt. Sie gibt unserem Leben erst den Sinn, und sie enthält, in verschlüsselter Form, alle Fragen nach dem Sinn des Lebens."
Es war Eserfim ernst mit dem, was er sagte. Er war zwar keine besondere Leuchte, aber als er jetzt sprach, da spürte Rhodan, daß er es in der Überzeugung tat, die Botschaft seines Volkes zu verkünden. „Entschuldige, Eserfim", sagte Rhodan. „Es tut mir leid, dein Volk beschimpft zu haben. Ich habe mich gehenlassen. Kannst du es mir verzeihen, Eserfim?"
„Eserfim hat dir nichts zu verzeihen", sagte der Benguel verlegen. „Eserfim wäre glücklich, hätte er dich überzeugen können. Aber ich fürchte, das ist Eserfim nicht gelungen."
Rhodan fragte sich, ob es von irgendeiner Bedeutung war, daß Eserfim manchmal von sich in der dritten Person sprach. „Was passiert mit jenen, die einen Geist-Bruch erlitten haben?" erkundigte sich Rhodan, um dem Thema wieder eine nüchterne Note zu geben. Gleichzeitig befürchtete Rhodan jedoch, daß er damit schon wieder an einem Tabu rühren könnte. Aber Eserfim empfand es nicht als raak. Er gab bereitwillig Antwort. „Sie werden als Landarbeiter eingesetzt - und sie fühlen sich dabei wohl, wohler jedenfalls als in Cuyapo.
Sie mögen die Natur, und irgend jemand muß ja auch für die Nahrungsversorgung dasein."
„Ich würde gerne mehr darüber erfahren", sagte Rhodan. „Ist das möglich, oder ist es raak?"
Und wieder dachte er, daß das benguelische raak eventuell ein Kürzel des kartanischen raknor sein konnte, was soviel wie „verboten" oder auch „tabu" hieß. „Eserfim steht dir gerne zur Verfügung", sagte der Benguel. „Du mußt nur Gemmenschneider dazu bringen, daß er mich
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