1371 - Das Erbe der Toten
überrascht hätte.«
Suko nickte vor sich hin. »Man hat es versteckt?«
»Genau.«
»Warum hat man das getan?«
»Keine Ahnung. Zufall? Absicht?« Ich deutete auf das Bild. »Jedenfalls ist dieses Motiv mehr als ungewöhnlich. Es hat etwas zu bedeuten. Diese durch zwei Pfeile getötete Frau muss eine große Rolle gespielt haben. Welche, weiß ich nicht. Ich kenne ihren Namen nicht.«
»Jedenfalls war sie eine Kämpferin. Vielleicht hat sie eine Rüstung anlegen wollen und ist nicht dazu gekommen. So etwas ist doch auch möglich – oder nicht?«
»Tja, ich bin für alles offen, was mich der Wahrheit näher bringt. Ich gehe jedenfalls davon aus, dass es kein Zufall ist, dass ich es gefunden habe. Es muss eine Bedeutung haben.«
»Den Titel kennst du nicht?«
»So ist es.«
»Und wie heißt der Maler?«
Ich hob die Schultern. »Ich hatte noch nicht die Zeit, um das herauszufinden. Ich denke, dass wir es hier gemeinsam versuchen sollten. Vielleicht hat er ja seine Signatur auf dem Bild hinterlassen.«
»Daran habe ich auch gedacht«, sagte Suko, während er sich vorbeugte, um das Gemälde genauer in Augenschein zu nehmen.
Signaturen sind in der Regel am linken oder rechten Rand der Bilder zu sehen. Bei Gemälden mit hellen Farben ist das kein Problem. Dieses hier aber war sehr dunkel, da musste man die Signatur schon suchen, falls sie überhaupt vorhanden war.
Suko besaß den Blick eines Adlers, und auch jetzt war ihm ein Erfolg beschieden.
Er deutete auf den rechten Rand, als er sich wieder aufrichtete.
»Da ist etwas«, sagte er.
»Und?«
Er drehte mir das Gesicht zu und grinste breit. »Leider kann ich es nicht lesen. Ich gehe davon aus, dass es der Name des Malers ist. Um mehr zu erkennen, müsste ich eine Lupe haben.«
»Ich hole eine«, sagte Glenda und verschwand in ihrem Vorzimmer.
Suko war der Meinung, dass es nicht viel helfen würde, wenn wir den Namen erfuhren, und er kam wieder auf das Motiv zu sprechen, dass in der Tat ungewöhnlich war.
»Diese Frau ist für mich eine Kriegerin, John.«
»Stimmt. Und wenn ich mir die Kleidung anschaue, dann tippe ich auf das Mittelalter.«
»Kreuzzüge?«
»Genau.«
»Templer?«
»Du bist auf dem richtigen Weg.«
Suko winkte ab. »Offiziell gab es bei den Templern ja keine Frauen, aber wir haben das Gegenteil erfahren.«
»Eben!«, stimmte ich ihm zu. »Und deshalb lasse ich diese Lösung auch nicht aus meinen Gedanken.« Ich deutete auf das Bild. »Es ist durchaus möglich, dass man dieser Frau eine bestimmte Aufgabe übertragen hat. Sie hat praktisch einen geheimen Auftrag übernommen, von dem niemand etwas wusste. Nur ist sie nicht mehr dazu gekommen, den Auftrag in die Tat umzusetzen. Man hat sie erwischt und umgebracht.«
»Was dann einen Maler veranlasste, den Tod dieser Frau für die Nachwelt festzuhalten.«
Diesen Satz hatte Glenda gesagt, und wir stimmten ihr zu. Sie hielt eine Lupe hoch.
»Damit wirst du wohl mehr erkennen können, Suko.«
»Danke.« Er nahm die Lupe entgegen und beugte sich wieder über die rechte untere Hälfte des Gemäldes, um dort genau nachzuschauen. Er nahm sich Zeit dabei, die uns Wartenden natürlich lang vorkam. Ich legte Glenda einen Arm um die Schultern und merkte, dass ihr diese Berührung gut tat und ihr auch Trost spendete, denn sie drückte sich an mich. Das leichte Zittern ihres Körpers konnte ich fühlen.
Unsere Spannung stieg, als sich Suko aufrichtete. Er drehte sich um. Die Lupe behielt er dabei in der Hand.
»Der Vorname besteht nur aus einem Buchstaben. Er ist abgekürzt. Ich habe ein großes A gelesen.«
»Das ist nicht viel.«
»Sei nicht so ungeduldig, John.« Suko lächelte. »Jedenfalls war der Künstler eitel genug, um auch seinen Nachnamen zu hinterlassen. Wenn ich mich nicht zu sehr geirrt habe, lautet der Furletto.«
Jetzt schauten wir uns zu dritt an. An unseren Blicken war zu erkennen, dass keiner von uns mit diesem Namen etwas anfangen konnte. Einen gewissen Furletto als Maler kannte ich nicht. Aber der Name hörte sich italienisch an, und ich dachte wieder an die Banco Venezia, die ja auch unter italienischer Hoheit stand.
»Ist das Werk auch datiert?«, fragte ich.
»Nein, da habe ich nichts entdecken können. Wenn es sehr wichtig werden sollte, können wir ja das Alter des Gemäldes bestimmen lassen. Ansonsten müssen wir sehen…«
Der Meinung war ich auch.
Suko fragte weiter. »Kannst du dir denn vorstellen, dass dieses Bild etwas mit den von dir erwähnten
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