1371 - Das Erbe der Toten
sitzt?«
»Sicher. Es ist so etwas wie eine Bank. Es kann auch eine Truhe sein, denke ich.«
»Truhe ist gut.«
»Du verbindest es mit einem Schatz?«
»Klar.« Er lächelte. »Ich denke dabei wieder an das Templer-Gold, das wir fanden. Das lag auch in einer Truhe versteckt.« Er winkte ab. »Aber was soll’s? Spekulationen bringen uns nicht weiter. Ich setze meine Hoffnung auf Godwin.«
Das tat ich auch. Dabei schaute ich das Telefon an wie jemand, der hypnotisieren will. Aber ich war nicht Saladin und musste warten, bis Godwin uns anrief.
Auch Glenda konnte ihren Blick von dem Bild nicht lösen. »Eine schöne, aber auch tote Frau. Und sie hat ein Erbe hinterlassen. Ich würde sagen, dass man es als das Erbe der Toten bezeichnen kann. Sie hat uns etwas überlassen. Sie will, dass wir dieses Rätsel lösen. Anders kann ich es nicht sehen.«
»Und sie starb dafür.«
Glenda nickte mir zu.
»Aber wer waren ihre Mörder?«, fragte Suko.
Wir kannten sie nicht. Trotzdem wollte ich eine Antwort geben.
»Es könnte sein, dass sie in die Geschichte eingegangen ist und dass unser Freund Godwin mehr darüber weiß.«
»Wäre zu hoffen.« Suko blickte auf seine Uhr. »Na ja, die halbe Stunde ist so gut wie vorbei. Ich denke…«
Genau da meldete sich das Telefon auf dem Schreibtisch. Während ich abhob, schaltete ich den Lautsprecher ein, damit wir alle hörten, was uns Godwin zu berichten hatte.
»So, da bin ich wieder.«
Ich lauschte dem Klang der Stimme nach und versuchte herauszufinden, in welch einer Verfassung er sich befand. War er durcheinander? War er deprimiert oder optimistisch?
»Hast du etwas herausgefunden?«
»Deine Beschreibung, John, war sehr gut. Damit konnte ich etwas anfangen. Ich bin zudem froh, dass ich damals gelebt habe und mich noch an gewisse Dinge erinnern kann. Zunächst mal muss ich auf den Namen des Malers kommen. Furletto sagt mir nichts. Er war meines Erachtens einer von vielen begabten Malern, die sich die Herrscher damals hielten und die sie bezahlten. Jeder Mächtige wollte ja, dass gewisse Ereignisse festgehalten wurden, und das ist auch bei diesem alten Bild der Fall gewesen, womit ich zu dieser Frau komme.«
Spontan rutschte mir eine Frage über die Lippen. »Kennst du diese Person?«
»Ja.«
Die Antwort überraschte mich so sehr, dass ich einfach schweigen musste.
»Was ist, John?«
»Ich bin sprachlos.«
»Deine Beschreibung war eben zu gut.«
Ich schaute Glenda und Suko an, die ebenfalls verwundert waren und große Augen machten.
»Und wer ist sie?«
»Celine de Vichier.«
Jetzt wussten wir den Namen, doch keiner von uns konnte damit etwas anfangen.
»Du schweigst, John?«
»Ja, diesen Namen habe ich noch nie gehört.«
»Kann ich mir denken. Es ist auch keine Bildungslücke.« Er nahm es locker. »Man kann ja nicht alle Großmeister der Templer namentlich kennen.«
Das überraschte mich. »Moment mal, du willst doch nicht sagen, dass diese Celine de Vichier eine Großmeisterin…«
»Nein, nein, das will ich damit nicht sagen. Aber die Verbindung zum Großmeister war sehr eng.«
»Inwiefern?«
»Ein gewisser Renaud de Vichier war der vierzehnte Großmeister der Templer. Von 1250 bis 1256. Celine de Vichier war seine Schwester. Da hast du die Verbindung.«
»Wahnsinn«, flüsterte ich.
»Nein, Verwandtschaft.«
»Sei nicht so realistisch. Für uns ist diese Nachricht schon so etwas wie Wahnsinn.«
»Okay, stellen wir uns den Tatsachen. Renaud de Vichier war ein sehr angesehener Mann. Unter seiner Herrschaft wurde der Orden wieder zu einer Elitetruppe des christlichen Heeres. König Ludwig, der damals regierte, stand voll und ganz auf seiner Seite, und de Vichier hat sich vor seiner Ernennung zum Großmeister auch sehr für den König eingesetzt. Mit dem König zusammen kam er ins Heilige Land und wurde dort zum Marshall des Ordens. Er war auch derjenige, der für Zucht und Ordnung sorgte. Und seine Schwester war zugleich seine Vertraute, wenn man den alten Überlieferungen und Aufzeichnungen Glauben schenken darf.«
»Das muss ich erst verdauen, Godwin. Dann hat das Bild wohl eine Bedeutung.«
»Sicherlich. Wenn wir ehrlich sind, dann müssen wir zugeben, dass die Templer keine Heiligen waren, auch wenn sie sich im Heiligen Land bewegten. Sie haben geraubt, geplündert, sie holten Schätze hervor, und das war auch bei de Vichier nicht anders. Der aber sorgte dafür, dass die Dinge nicht in fremde Hände gerieten und dass die Templer sie nicht
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