139 - Kreis der Telepathen
Irgendwann überließ Beebie Rot der Priesterin das Steuerruder und kam zu Aruula an den Bug. »Du bist eifersüchtig, habe ich Recht?«, flüsterte er.
»Wie kommst du denn darauf?«
»Diese Priesterin ist eine nette Gesellschaft«, raunte er, »aber ich begehre sie nicht. Ich liebe nur dich! Hörst du, göttliche Aruula? Nur dich…« Er rückte näher an sie heran.
Sie verdrehte die Augen und wich ihm aus. »Erstens bin ich auf der Suche nach meinem Kind und habe keinen Sinn dafür, dass man mir den Hof macht. Zweitens liebe ich nur einen, und der heißt Maddrax und wartet in Britana auf mich. Und jetzt lass mich allein.«
Er starrte sie an und atmete schwer, als kämpfte er mit den Tränen. »Ich habe Zeit«, flüsterte er schließlich. »Ich kann warten.« Mit gesenktem Kopf zog er ab.
Nach diesem kurzen Gespräch scherzte niemand mehr am Heck des Schiffes. Aruula fragte sich, wie sie Beebie Rot wieder loswerden konnte, wenn alles vorbei war. Dass er sie bis jetzt begleitet hatte und ihr helfen würde, Matjunis zu finden, das ging in Ordnung. Schließlich hatte sie ihm zweimal das Leben gerettet. Aber danach…?
Sie wickelte sich in ihren Fellmantel und legte sich zum Schlafen am Bug nieder.
Die Morgensonne weckte sie. Eine Stunde später sichtete Beebie Rot Land. Bald erreichten sie die Mündung, von der Lusaana gesprochen hatte. Odaar nannten die Kriegerinnen den Strom, der hier in den Kalten Sund mündete.
Die sieben Frauen überließen dem Rothaarigen das Steuerruder und zogen sich unter Deck zurück. Noch einmal wollten sie Kontakt mit jenem Wesen aufnehmen, das Aruula für ihr Kind hielt. Wieder bündelten sie ihre telepathischen Kräfte, und dieses Mal dauerte es nicht lange, bis sie das vertraute und doch so fremdartige Denkmuster berührten; nicht weil sie jetzt geübt waren, sondern weil es so nahe war.
»Höchstens noch dreihundert Speerwürfe«, schätzte Lusaana.
Juneeda machte eine skeptische Miene. »Ich weiß nicht, ob es überhaupt der Geist eines Menschen ist, den wir da gespürt haben«, sagte sie leise.
»Was soll es denn sonst sein?« Aruula brauste auf. »Es ist mein Kind, Priesterin!«
»Es gibt dort eine Ruinenstadt namens Steedinen« , sagte eine der anderen Kriegerinnen. »Wir haben zu meiner Jugend in ihrer Umgebung gejagt. Es leben Menschen dort. Vielleicht finden wir bei ihnen, was du für dein Kind hältst, Aruula.«
»Es ist mein Kind!« Ein grünes Funkeln blitzte in Aruulas Augen auf. Sie war wütend. »Glaubt ihr mir nicht?«
»Gehen wir hin, schauen wir nach«, beschloss Matoona. Die Priesterin, Faathme und die Königin gingen nach oben zu Beebie Rot. Die anderen setzten sich auf die Ruderbänke und griffen zu den Höhnen. Nicht lange danach glitt das Schiff in die Mündung des Stromes…
***
Mindestens zweimal am Tag stieg die Frau, die keine Frau war, auf einen der Türme hinauf. Manchmal auch drei- oder viermal. An diesem Tag erhob sich Veda’lan’tubaris schon bei Sonnenaufgang von ihrem Lager, um zur Kathedrale zu gehen.
Ihr Hauptquartier hatte sie in einem großen Saal jenes vierstöckigen Gebäudesaufgeschlagen, das an den großen Innenhof grenzte. Sie nahm das Aussehen der Barbarin an – die nächtlichen Ruhephasen verbrachten sie und ihre Gefährten in Gestalt der Wirtskörper, um ihre Kräfte zu schonen –, kleidete sich in Fellhosen, Lederharnisch, Fellmantel und Pelzkappe und ließ sich von Kraftkahl die Stiefel schnüren. Danach ging sie zur Tür.
Neben der hing ein hoher und nur teilweise blinder Spiegel.
Veda’lan’tubaris blieb stehen und kontrollierte ihr Spiegelbild.
Die Verwandlung in einen weiblichen Primärrassenvertreter gelang ihr inzwischen perfekt. Das lange Haar – ein schwieriges Unterfangen, es aus Strängen winzigster Schuppen nachzubilden und zu färben – fiel ihr täuschend echt auf die Schultern. An ihrem Gurt hingen links ein Schwert und rechts ein Beil.
Die Eingeborenen von Stcezetcin hielten sie für die Fürstin eines Stammes von Kriegerinnen, wie es sie weiter südlich gab, oder auch weiter nördlich an den Küsten jenseits des Kalten Sunds. Der hoch gewachsene und kräftig gebaute Kahlkopf hinter ihr betrachtete sie und ihr Spiegelbild mit ausdruckslosem Gesicht. Vermutlich konnte er ihren Selbstbetrachtungen keine Bedeutung abgewinnen.
Veda’lan’tubaris verließ den Raum und das Gebäude und trat in den Säulengang. In der Mitte des Innenhofes lehnte Grao’sil’aana gegen die große Steinschale mit der
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