1392 - Der Verfolger
schwieg weiter. Aber sie hatte wohl etwas bemerkt, ich sah es am Zucken ihrer Hände, die auf den Knien ihren Platz gefunden hatten.
Ich streichelte sanft über die linke Hand. Auch jetzt erlebte ich keinen großen Fortschritt. Ellen hob nicht mal den Kopf, nur die Atmung hatte sich ein wenig beschleunigt.
Ich schaute sie an und legte dabei zwei Finger unter ihr Kinn. So hob ich den Kopf leicht an, und es gelang mir, ihr in die Augen zu schauen, die nicht geschlossen waren.
»Ellen…?«
Sah sie mich? Hatte sie mich gehört? Ihr Blick war gegen mich gerichtet, aber ich sah die Leere in den Augen der Frau. Sie schien von der Welt abgetreten zu sein.
»Können Sie mich hören?«
Sehr blass waren auch die Lippen, doch die bewegten sich nun.
Ich wartete darauf, dass sie mir etwas sagte. Leider hatte ich Pech.
Nur ein leises Stöhnen wehte aus dem schmalen Spalt.
»Bitte, Ellen, Sie brauchen nichts zu sagen. Wenn Sie mich hören können, dann nicken Sie.«
Sie nickte leider nicht, aber ich hatte trotzdem etwas erreicht, denn sie fing tatsächlich an zu sprechen. Dabei musste ich mich schon sehr anstrengen, um die Worte verstehen zu können, die leise aus ihrem Mund drangen.
»Es war der Tod. Ja, der Tod war bei mir. Ich habe ihn gesehen. Ich kenne ihn jetzt.«
»Können Sie mir den Tod beschreiben?«
»Weiß nicht…«
»War es ein Mann?«
»Ja«, sagte sie nach einer Weile, »das ist ein Mann gewesen. Es war mein Verfolger.«
»Hat er seinen Namen genannt?«
»Nein…«
»Aber er wollte etwas von Ihnen, nicht wahr?«
»Ja, das wollte er. Ich gehöre ihm. Ihm ganz allein. Das hat er mir gesagt. Er verfolgt mich. Er wird mich immer verfolgen, und er wird mich beschützen.«
»Vor wem?«
»Ich weiß es nicht. Es ist alles so anders geworden. Ich darf nicht mehr allein sein.«
»Hat er denn einen Grund genannt für das, was er tut?«
Ellen Gabor ging nicht auf meine Frage ein. »Er verfolgt mich auch weiterhin, hat er gesagt. Er sagt, dass ich ihm gehöre, nur ihm.«
»Aber warum sollen Sie nur ihm gehören und keinem anderen?«
»Das weiß ich nicht. Er hat nur davon gesprochen, dass ich ihm gehöre.«
»Aber es muss einen Grund geben.«
»Er mag mich wohl. Er will nicht, dass ich einem anderen gehöre, und jeder, der mir zu nahe kommt, ist verloren.«
Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich. Plötzlich schaute sie an mir vorbei, als würde sie im Hintergrund etwas sehen. Dann nickte sie.
»Ich habe es gesehen… gesehen …«
»Was?«
Sie schaute für einen winzigen Moment auf den Toten. Dann schlug sie die Hände gegen das Gesicht.
Es war eine Geste, die mir genug sagte. Sie hatte sich plötzlich erinnert. Sie wusste, was hier geschehen war. Ich hätte die Leiche aus ihrer Sichtweite schaffen sollen. Jetzt war es zu spät.
Bei Ellen Gabor floss der Tränenstrom und rann über die Wangen.
Ich hörte sie schluchzen. Sie zog die Nase hoch und schwankte im Sessel.
Es war vielleicht besser, wenn sie einen Menschen spürte, der ihr den nötigen Halt gab. Deshalb streichelte ich ihre Arme und erklärte ihr, dass sie nicht allein war.
Ob ich sie damit tröstete, konnte ich nicht sagen. Jedenfalls hörte sie auf zu weinen. Die Arme sanken nach unten, und sie schaute mir wieder ins Gesicht.
»Wieder okay?«
Ellen schien mich mit ihren verweinten Augen erst jetzt richtig wahrzunehmen. »Wer sind Sie? Wie kommen Sie hierher?«
Ich nannte meinen Namen.
»Und wie kommen Sie hier in mein Zimmer? Arbeiten Sie in der Nähe?«
»So ungefähr, Ellen. Am wichtigsten ist, dass ich Ihnen helfen will. Ist das in Ordnung?«
Sie glaubte mir noch immer nicht. Sehr intensiv schaute sie mich an. Sie forschte in meinem Gesicht, als wollte sie herausfinden, wer ich war.
»Sie sind nicht der Mörder…«
Ich war froh, dass sie das erkannt hatte. »Nein, das bin ich nicht, Ellen.«
»Das ist gut, das ist sehr gut. Darüber freue ich mich. Nicht der Mörder. Wunderbar.«
»Sie sollten mir vertrauen, Ellen. Ich habe mich entschlossen, von nun an strikt an Ihrer Seite zu bleiben. Ich werde so etwas wie ein Leibwächter für Sie sein.«
»Leibwächter?«
»Ja, richtig.«
»Warum?«
»Weil Sie einen nötig haben, Ellen. Oder denken Sie anders dar über? Ich will Sie stützen. Sie haben selbst erlebt, was hier geschehen ist. Jemand ist zu ihnen gekommen, der getötet hat. Er ist ein Mörder, und ich möchte bei Ihnen bleiben, weil ich dem Mörder eine Falle stellen will.«
Sie schüttelte den Kopf und schaute
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