1392 - Der Verfolger
immer nicht. »Es geht nicht. Das hat auch der Stalker gesagt.«
»Um ihn brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen. Jetzt bin ich bei Ihnen, Ellen.«
»Er sieht alles, hat er gesagt, auch wenn er nicht da ist.« Ihre Stimme verwandelte sich in ein Flehen. »Meine Güte, ich habe eine so große Angst. Können Sie das nicht begreifen?«
»Doch, das kann ich. Ich kann es wirklich. Aber es ist falsch, sich dem Teufel zu fügen. Man kann ihn bekämpfen, und das müssen auch Sie tun, um Ihrer selbst willen, Ellen.«
Der letzte Satz hatte sie nachdenklich gemacht. Sie nickte vor sich hin und sagte dann: »Es ist toll, wenn man so etwas von sich behaupten kann. Ich bin leider dazu nicht in der Lage. Ich kann es nicht. Ich bin nicht stark genug. Ich habe nur noch Angst. Ich habe auch einen Fehler begangen, als ich mich Matt Filser anvertraute und ihm zustimmte, einen Killer zu engagieren. Damit habe ich einen Mord billigend in Kauf genommen, und damit habe ich praktisch meine Seele dem Teufel verkauft. Und Matt ist jetzt tot. Weil er mir helfen wollte. Ich bin… verzweifelt. Ich weiß nicht, wie es weiterzugehen soll.«
»Doch, ab jetzt schon. Greifen Sie zu!«
Sie tat es wirklich. Sie atmete durch. Meine letzten Worte hatten sie überzeugt, und sie ließ sich in die Höhe ziehen, blieb aber zitternd vor mir stehen.
»Sollen wir jetzt wirklich gehen?«, flüsterte sie.
»Ja, das sollten wir.«
»Und wohin?«
»Erst mal raus aus der Klinik. Wir steigen in meinen Wagen, fahren weg und sehen dann weiter.«
Damit war sie einverstanden, aber zuvor musste sie ihren Mantel holen, der in einem schmalen Schrank hing. Die kurze Verzögerung war nicht tragisch. Allerdings dachte ich darüber nach, ob es wirklich so einfach sein würde, aus dieser Klinik zu entkommen.
Mit dieser Klinik stimmte etwas nicht. Mir war kein Arzt über den Weg gelaufen, ich hatte auch keine weiteren Patienten gesehen, und überhaupt hatte dieses Gebäude kaum etwas mit einer Klinik gemein. Ich nahm mir vor, später über sie nachzuforschen, wenn alles vorbei war.
Dann passierte doch etwas. Ich hatte es die ganze Zeit über im Gefühl gehabt. Es war für mich einfach schwer zu glauben, dass die Dinge so locker ablaufen würden, und ich hatte mich wieder einmal nicht geirrt.
Aus dem Augenwinkel sah ich die Bewegung. Mein Kopf zuckte herum. Dabei sah ich auf die beiden Fenster. Hinter dem rechten der beiden war wieder die Bewegung zu sehen.
Von oben herab ließ sich eine Gestalt an der Mauer herunter, und der Kopf war bereits in der Fensteröffnung zu sehen.
Für mich gab es keinen Zweifel, dass ich den Stalker vor mir hatte…
***
Die folgenden Sekunden erstickten fast an der herrschenden Stille.
Niemand sprach ein Wort. Ellen Gabor war mit sich beschäftigt. Ich war zwar überrascht, auch irgendwie schon geschockt, doch ich gab es nicht lautstark zum Ausdruck, sondern konzentrierte mich auf die Gestalt, von der ich auch weiterhin nur den Kopf sah.
Sie war ein Phänomen, denn sie hatte sich senkrecht an der Hauswand nach unten gehangelt, und ich glaubte nicht, dass es dort irgendwelche Vorsprünge gab, an denen sie sich festhalten konnte.
Sie haftete an der Außenfassade wie Spider-Man, doch dies hier war kein Hollywood-Kracher und auch kein Comicheft, sondern erschreckende Realität.
Mein Schweigen und die drückende Stille fielen Ellen Gabor nun auf. Sie hatte ihren Mantel geholt, drehte sich um – und plötzlich schrie sie auf!
Sie hatte die Gestalt hinter der Scheibe gesehen, und sie war völlig von der Rolle. Es war ein Anblick, der ihr einen tiefen Schock versetzte und schreckliche Erinnerungen aufsteigen ließ.
Ich schaute sie an.
Ellen stand auf der Stelle, zitterte, hatte die Hände zu Fäusten geballt und schüttelte dabei den Kopf.
»Kommen Sie!«, rief ich.
»Er… er … ist da! Der Stalker. Er wird mich holen. Ich kann hier nicht weg!« Abgehackt drang jedes einzelne Wort aus ihrem Mund, als würde ein Roboter sprechen.
Hinter dem Fenster passierte noch nichts. Die Gestalt dachte nicht daran, die Scheibe einzudrücken. Sie pendelte leicht, in dem Gesicht leuchteten zwei kalte Augen, und der Mund zeigte ein böses, widerliches Grinsen.
Wenig später schwenkte die Gestalt nach hinten, als wollte sie sich selbst den nötigen Schwung geben, um die Scheibe einzurammen. Ich rechnete auch damit, aber genau das trat nicht ein, denn auf der Hälfte der Strecke streckte sie ihre Zunge heraus, und sie sah tatsächlich aus wie
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