1396 - Das Blut der Sinclairs
ändern.
Ich hörte am Knarren, das die Tür wieder geöffnet wurde, und meine Spannung stieg erneute. Diesmal fiel die Tür auch nicht mehr zu, denn auf der Schwelle blieb Jorge stehen, umspielt von einem zuckendem Licht, das seine Gestalt unheimlich wirken ließ.
»Alles klar?«, rief die Frau.
»Ja, ihr könnt kommen.«
»Dann los«, sagte sie nur…
***
Mit jedem Schritt, den ich zurücklegte, hatte ich das Gefühl, einem Teil meiner eigenen Vergangenheit oder meiner Familiengeschichte näher zu kommen, in der auch die Lanze womöglich eine Rolle spielte, ohne dass ich es mir eigentlich vorstellen konnte.
Die Lanze, die Templer?
Sollte die Spur doch dorthin führen? Ich hätte gern mit Godwin de Salier darüber gesprochen, aber der lebte in Südfrankreich und war für mich deshalb jetzt nicht erreichbar.
Ich schaute durch die recht kleine Tür. Sie war in eine Nische gebaut worden. Dahinter lag der Raum, durch den das Fackellicht streute und auch einen bestimmten Geruch verursachte.
Es war im eigentlichen Sinne kein Gehen, was wir hier vollführten, sondern mehr ein Schreiten. So hätte ich auch an einer Prozession teilnehmen können, ohne aufzufallen.
Im Moment zählte für mich nur die Gegenwart. Auch Jane Collins hatte ich vergessen. Hier ging es um die Familie Sinclair. Das Gefühl, vor einer völlig neuen Erfahrung zu stehen, verdichtete sich in mir immer stärker. Ich hörte auch meinen eigenen Herzschlag lauter werden, aber in meinem Gesicht spiegelten sich die Gefühle nicht wider. Es blieb weiterhin unbewegt.
Wir hatten den Eingang fast erreicht, als Lucy noch mal stehen blieb und fragte: »Wie fühlst du dich?«
»Ich bin gespannt.«
»Das darfst du auch sein.«
»Und was erwartet mich?«
Erneut lachte sie. »Bitte, John, du willst doch nicht, dass ich dir die Spannung nehme. Gedulde dich noch ein wenig. Dann werden sich einige Türen öffnen.«
»Ich bin gespannt.«
»Das sollst du auch sein.«
Um die ungewöhnliche Kirche betreten zu können, musste ich mich schon ducken. Es war draußen kalt gewesen, in der kleinen Kirche war es auch nicht unbedingt warm, obwohl sechs Fackeln brannten. Sie steckten in Gestellen an den Wänden. Drei auf der einen und drei auf der anderen Seite.
Wer eine Kirche betritt, der sucht natürlich auch die Bänke oder Stühle. Die gab es hier nicht. Das heißt, weiter vorn standen zwei kleine Bänke leicht versetzt nebeneinander.
Und noch etwas fiel mir auf. Die meisten Kirchen sind in der Form eines Kreuzes errichtet. Diese hier war es nicht. Man konnte sie als quadratisch betrachten, nicht als Rundbau und auch nicht sechseckig, wie ich es von den Templer-Kirchen her kannte.
Was also stellte sie dar? Wem gehörte sie?
Ein schlimmer und auch fantastischer Gedanke schoss mir durch den Kopf. Sollte die Kirche etwa dem Bösen geweiht sein? Hatte sie als Unterschlupf für den Teufel gedient, wie immer man ihn auch sehen wollte. Hatten sich hier vielleicht Satanisten in der Vergangenheit getroffen, um ihre widerlichen Rituale durchzuführen?
Ich wusste es nicht. Konnte es allerdings auch nicht vermeiden, dass ich mich gedanklich mit diesem Thema beschäftigte, und fragte mich natürlich wieder, was wohl mein Vater damit zu tun gehabt hatte?
Jorge und Abel standen etwa in der Mitte. Sie hatten Haltung angenommen. Waffen sah ich nicht mehr in ihren Händen. Trotzdem dachte ich nicht an einen Rückzieher. Ich war einfach zu neugierig geworden.
Mit leisen und wohlgesetzten Schritten gingen wir weiter. Ich passte mich dabei meiner rätselhaften Begleiterin an und war gespannt, wie weit wir noch gehen würden.
Die Fackeln erhellten den Innenraum, aber sie gaben längst kein strahlendes Licht ab. Es gab noch immer genügend Ecken, die im Dunkeln blieben, sodass sich dort jemand verstecken konnte.
Die Fenster waren recht schmal, dafür aber hoch. Ob sich noch Glas darin befand, war nicht zu sehen. Es gab auch keine höher laufende Galerie. Eine Orgel entdeckte ich auch nicht, als ich mich drehte, um zurückzuschauen. Da sah ich über der recht kleinen Tür nur die leere Wand.
Eine leere Wand!
Genau das störte mich ebenfalls. Hier gab es keine Fresken zu sehen oder aufgehängte Bilder. Figuren irgendwelcher Heiliger auch nicht. Man konnte von kahlen Wänden sprechen, das hatte sicherlich seine Gründe.
Wir passierten die beiden Männer und gingen direkt auf die Bänke zu, aber näherten uns auch dem Altar, den es tatsächlich gab, was mich schon sehr
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